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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Pergamentrolle!«
    Vor sich hinbrummend, machte er sich rasch über der aufgespannten Haut ans Werk, zeichnete weite krause Bögen, die sich weit nach rechts und links dehnten. »Hier«, sagte er, »hier haben wir das Weiße Meer, das da ist das Schwarze, und hier drüben liegt das Land Dis. Das bezeichnen wir als die Große Unendliche, hier unten, wo einer ewig weitersegeln kann und niemals Land sichtet. Viele mutige Männer gingen dort zugrunde und viele Toren. Allerdings ist es zuweilen schwer, die einen von den anderen zu unterscheiden. Und das da« – ein kühner Federzug – »ist der Zentralkontinent, auf dem wir uns hier befinden. Manchmal hat er eine andere Gestalt, aber ich kannte ihn so, als ich vor langen Jahren mit Harald dem Norsen die ganze Länge seiner Küsten befuhr. Das da ist Nova Roma, hier an der anderen Küste. Dies ist die Kristallene Halbinsel, und hier, dies ist die Meerenge der Gespenster, und sie ist ebenso schmal und kalt und übel wie jene Meerenge, die ich einst in der anderen Welt im Südozean entdeckte. Und da – da – da…« Magalhaes zeichnete Berge ein, Flüsse und gewaltige Seen. Er gab die Umrisse des öden trockenen Outback an, die Insel Brasil, das Land um Uruk selbst in der oberen Ecke jenseits des Westrandes des Outback. Er schrieb die Namen anderer Städte auf: Cambaluc, Nova Lisboa, Nunca, Tintagel, New South Brooklyn, Ciudad Meshugah, Walhalla.
    »Die Vollkommene Aryanische Republik?« fragte Gilgamesch. »Wo liegt die?«
    »Hier. Glaube ich.«
    Gilgamesch nickte. Endlich bekam er einen gewissen Eindruck von der Gestalt der anderen Landgebiete der Welt, mit denen er es zu tun haben würde.
    »Und das Neue Ottomanische Sultanat?«
    Magalhaes wies auf den Südrand des Outback. »Da. Höchstwahrscheinlich.«
    Gilgamesch sah in dem Stapel von Gesandtschaftsakkreditionen nach. »Und der Rolling Acres Country Club?«
    Magalhaes schwieg. Nach längerem Überlegen tippte er mit dem Finger auf die Karte. »Hier, soweit ich mich erinnere. In der Nähe von Adonai Elohim, aber liegt er nun östlich davon? Nein, westlich – ja, bestimmt westlich – laß mich nachdenken, ich reiste von der Küste heran und gelangte zunächst nach Adonai Elohim, und dann…« Er schloß die Augen. »Die Orte wandern so. Es gibt keine Gewißheit.« Plötzlich flammte Wut in dem Mann auf. »Die Karte, die ich dir gezeichnet habe, ist wertlos, König Gilgamesch!«
    »Nein«, sagte Gilgamesch. »Sie hat vielleicht ein paar Schwachstellen, aber sie liefert mir ein weit besseres Bild…«
    »Wertlos! Wertlos!« beharrte Magalhaes. Er zitterte, vermochte seinen Zorn kaum zu bändigen. »Hast du eine Vorstellung davon, was für ein Fluch es für einen Mann wie mich bedeutet, auf der Welt herumzureisen und nie beim zweitenmal sicher zu wissen, wo ich schon war oder wohin ich fahre? Wenn ich versuche, meinen Kurs nach den Sternen zu richten, und immer wieder erleben muß, wie sie sich über mir verändern und mich verhöhnen? Wenn die Sonne am einen Tag hier aufgeht und auf der anderen Seite am nächsten Tag? Das ist alles sinnlos. Es ist würdelos!«
    Ruhig fragte Herodes: »Möchtest du einen Schluck Wein?«
    »Ja, vielleicht hilft es mir«, antwortete Magalhaes.
    Nachdem er getrunken hatte, wirkte er ruhiger. Er sagte, alles in allem erscheine ihm seine Karte nicht gar so schlecht. Sie sei ganz brauchbar. Es gebe zwar etliche zweifelhafte Sachen darauf und einige ihn rasend machende Ungenauigkeiten, und Sachen, die er einst als wahr erfahren hatte, die aber seiner Vermutung nach nun nicht mehr zutrafen; doch alles in allem, sagte er, habe er sein Bestes getan, so gut es eben gegangen sei, bei den ganzen Widerständen, und er zweifle, daß Gilgamesch von anderer Seite besser bedient werden könne.
    »Das ist auch mein Eindruck«, sagte Gilgamesch. »Es ist eine prächtige Karte, guter Freund. Und wenn du mir nun liebenswürdigerweise noch markieren könntest, wo Neu-Kreta liegt und das Großdionysische Königreich…«
     
     
    Nach den Regenstürmen trat eine lange Trockenperiode mit sengender Hitze ein, in der die Sonne fast überhaupt nicht unterzugehen schien, und die Felder um Uruk verdorrten und wurden braun. Die Luft selbst schien zu brennen, und wenn Gilgamesch mit Enkidu vor die Mauern auf die Jagd ritt, fanden sie draußen keine anständige Jagdbeute, nur klägliche dürre, sich dahinschleppende räudige Knochengerippe. Doch die Kornspeicher Uruks waren für eine derartige Notzeit gut gefüllt,

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