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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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aufzutreffen drohte. Der Haarmensch faßte zu und fing ihn und stopfte ihn an die richtige Stelle. Und winkte nach einem weiteren Sack. Gilgamesch besah ihn sich aus dem Augenwinkel. Nun, möglicherweise war es ja derselbe wie früher. Sie sahen einander alle so ähnlich, diese Haar-Männer. Kein Wunder, daß keiner von ihnen einen Namen trug. Wie zottige Gespenster wanderten sie auf ihren eigenen Pfaden durch die Nachwelt, diese rätselhaften Geschöpfe aus der Morgendämmerung der Zeiten, und einer ähnelte so sehr dem anderen, daß sie sehr wohl nur ein und dasselbe Individuum sein mochten. Doch je genauer Gilgamesch nun diesen Behaarten ansah, desto mehr glaubte er, etwas ihm Vertrautes zu entdecken, aber er wußte nicht, was das sein könnte. Es war wohl tatsächlich jener Mann, dem er zuvor in Brasil begegnet war, der Mann, der ihn durch die verteufelten Straßen der Stadt und zu Calandola geführt hatte.
    »Und was bringt dich hierher?« fragte er den Mann.
    »Simon sandte mich her. Ich bin sein Geschenk, ich soll bei dir an deinem Hof leben und dir dienen.«
    »Sagtest du ein Geschenk?«
    »Ich soll dir als dein Erzzauberer dienen. Simon war der Ansicht, du würdest mich brauchen.«
    Augenblicklich kam so etwas wie ein stechender Argwohn in Gilgamesch auf. Konnte Simon seinen Zauberer vielleicht geschickt haben, um zu spionieren? Nein. Nein, entschied er dann. Das wäre zu plump, zu offenkundig gewesen.
    Wieder brüllte Enkidu von oben, und wieder kam ein Sandsack herunter. Diesmal fing Gilgamesch ihn und setzte ihn an Ort und Stelle.
    Aber der Haarige sprach weiter: »Ich bin aber auch zu dir gesandt worden als Gegengabe für deine Großzügigkeit. Simon meinte, er sollte dir etwas Gutes tun, als Gegenleistung für die Edelsteine von Uruk, und seine Dankbarkeit für die großen Schätze, die du ihm geschenkt hast, so ausdrücken. Als ich ihn zuletzt sah, badete er in deinen Schätzen: Er lag in seiner Alabasterwanne und ließ sich mit einer Kaskade von Smaragden und Rubinen übergießen.«
    »Er liebt simple Vergnügen«, sagte Gilgamesch trocken. Wieder erschallte der Donner, laut und dröhnend wie die Posaune des Jüngsten Gerichts. Es war so ungeheuer laut, daß die Luft Ungeheuer gebar, einen Schwarm von Wesen mit vielen Köpfen und Heuschreckenflügeln und gelben Krötenaugen. Vielleicht hatte der Haarmensch recht, und dies war von neuem die Große Flut, in welchem Falle es klüger wäre, eine neue Arche zu bauen, als Zeit darauf zu verschwenden, diese einstürzende Mauer zu flicken. Doch keiner hatte je eine Sintflut für die Nachwelt vorhergesagt. Und so rief Gilgamesch dem Haarmann zu. »Meinst du das im Ernst? Glaubst du, das ist ein neuer Weltuntergang?«
    Der Behaarte stieß einen Laut hervor, der wie ein Lachen klang, und schüttelte den schweren breitnackigen Kopf; dann äußerte er pelzige Laute, die vom Sturm verweht wurden. Gilgamesch hoffte, daß er gesagt hätte, er habe nur einen Scherz machen wollen, daß es sich nicht um die Sintflut handelte, sondern nur wieder um einen neuen üblen Trick der Nachwelt, um einen Sturm, der weiterziehen würde, ohne alles auf seinem Weg zu zerstören.
    Dann schufteten sie schweigend weiter, stapelten die Sandsäcke auf. Hunderte andere arbeiteten an diesem Abschnitt der Mauer, Scharen von körperlich kräftigen Männern, aber auch viele Frauen. Der Regen schien nun ein wenig nachzulassen. Aber noch immer krachten diese lauten furchteinflößenden Donnerschläge, regneten die Blitze, brummten die Schwärme der Flugungeheuer. Die Ebene vor der Stadt war jetzt keine Wüste mehr, sondern ein schimmerndes Meer. In weiter Ferne hatte es den Anschein, als driftete ein gewaltiger glitzernder blau-weißer Gletscher im Himmel, dessen schroffe Kanten von einem inneren Licht leuchteten, und auf dessen Flanken Hirsche mit Menschengesichtern tanzten, Männer mit Stierköpfen und andere, seltsame und furchteinflößende ungeschlachte Tierungetüme. Der kleine Mann Picasso, dachte Gilgamesch, sollte das sehen und aufzeichnen. Aber Picasso befand sich im Moment sicher und geschützt unter einem Dach; er hatte erklärt, daß er keine große Lust zu derart stürmischer Plackerei habe und lieber im Haus bleiben wolle. Aber schließlich kann Picasso ja ausreichende Mengen von Monstern aus seinem eigenen brodelnden Hirn produzieren, sagte sich Gilgamesch. Er braucht die da gar nicht zu sehen.
    »Wenn du ein echter Zauberer bist«, sagte er zu dem Haarigen Mann, »weißt du

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