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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Grollen, und er wollte sich auf den Haarigen Mann stürzen.
    Aber Helena beschwichtigte ihn mit einer ganz leichten flüchtigen Berührung an seinem Handgelenk und sagte leichthin: »Bleib ganz ruhig. Es wird nicht geschehen.«
    »Besser nicht!« knurrte Enkidu.
    Sie lächelte. »Simon ist ein lieber Kerl, auf seine Weise. Doch wenn er wirklich an mir interessiert gewesen wäre, dann hätte er seine Chance nützen sollen, als wir uns vor langer Zeit in der Abtei von Theleme begegneten.« Und zu dem Haarmenschen sprach sie: »Sag ihm, er kommt tausend Jahre zu spät. Ich gehe, wohin immer Enkidu geht.«
    Gilgamesch sprach weiter: »Dann wisse auch dies: Der Behaarte Mann sagte, daß wir getrennt werden, wenn wir den Übergang beschreiten, und daß wir uns möglicherweise danach nicht unbedingt wiederfinden könnten.«
    Enkidus Augen loderten. »Was soll das heißen?« brüllte er. »Bist du sicher, du hast ihn richtig verstanden?«
    »Ohne Zweifel hat er das jedenfalls gesagt.«
    Enkidu fuhr herum und ging auf den Behaarten Mann los, der die Handgelenke in einer Bewegung überkreuz legte, die seltsam unbeteiligt wirkte, und in eine ferne Leere starrte.
    Helena wandte sich an Enkidu: »Ist das wahr? Daß wir einander verlieren beim Übergang?«
    »Gedenkt ihr euch anders zu entscheiden, was diesen Übergangsversuch betrifft?« fragte der Behaarte Mensch sanft. »Wenn das so ist, sagt es mir jetzt gleich, damit ich die Zubereitungen anhalten kann, ehe…«
    »Nein!« rief Enkidu. »Das ist nur ein trügerischer Trick, weiter nichts. Etwas, das Simon ihm zu sagen befohlen hat, um uns abzuschrecken, falls Helena sich weigert, zu ihm zu gehen. Der Mann war in Simons Diensten, Bruder, bevor er dir diente. Und er ist immer noch Simons Mann.«
    »Was sagst du dazu?« fragte Gilgamesch.
    Völlig unbeeindruckt und ruhig sagte der Uralte: »Die Reise wird so sein, wie die Reise sein muß. Die Bedingungen sind so. Ich besitze nicht die Kraft, sie zu ändern.«
    »Aber das ist doch überhaupt keine Antwort«, sagte Gilgamesch.
    Helena sagte bebend, und sie wirkte auf einmal sehr klein: »Das macht mir Angst! So ins Unbekannte zu gehen, ohne zu wissen, ob wir uns auch bestimmt drüben wiedersehen werden…«
    »Wir werden uns wiedersehen«, versprach Enkidu trotzig. »Irgendwie werden wir es, das weiß ich! Du mußt es nur glauben!« Er schaute auf sie hinab. »Wir sind uns einmal begegnet, und wir werden uns immer nahe sein. Das mußt du glauben. Du mußt einfach!« Und er zog sie dicht an sich. »Sag etwas, ja?«
    »Ja«, murmelte Helena, Ihre Augen strahlten wieder, ihr Gesicht strahlte wieder. »Ja, ich glaube, das werden wir. Ganz gewiß, Enkidu.«
    »Und du, Bruder? Was meinst du? Kommst du mit uns?«
    Gilgamesch blickte umher. Enkidu, Helena, der Behaarte Mann. Hinter ihnen Herodes. Weiter weg Vy-otin und Ninsun. Alle stumm. Ihr Schweigen brandete ihm entgegen wie die Wogen einer wütenden See. Eine seltsame Entschlußunfähigkeit bemächtigte sich seiner und lähmte ihn, so daß er wie erstarrt vor Kälte war.
    Er hatte sich für diese Fahrt entschieden, so gefahrvoll und voller Geheimnisse sie sein mochte, einzig um an Enkidus Seite bleiben zu können. Der Behaarte aber bot ihm dafür keine Sicherheit. Und wenn Enkidu wahr sprach und der Behaarte in Simons Auftrag Unheil wider sie wirken sollte, um dessen Zorn über die Weigerung, Helena auszuliefern, zu verdeutlichen – aber nein, das paßte einfach nicht zu Simon, und auch der Behaarte hatte noch nie ein Zeichen von Arglist erkennen lassen.
    »Nun, Bruder?« fragte Enkidu.
    Gilgamesch blickte den Haarigen Mann fest an. Aber das eisgraue Zottelgesicht verriet nichts. Er blickte zu Herodes hin, doch der zuckte nur die Achseln und wandte die Augen ab. Er blickte zu Vy-otin und bekam auch von dessen einem brennenden Eisjägerauge keine Antwort. Und dann sah er zu Ninsun, und sie lächelte.
    Sie nickte.
    »Mutter?« sagte er.
    »Wann wärest du je vor einer Gefahr zurückgeschreckt, mein Sohn?«
    »Du willst, daß ich mitgehe?«
    »Du willst es«, sagte Ninsun. »Also, was zögerst du?«
    »Aber du sagtest doch…«
    »Natürlich möchte ich, daß du hierbleibst. Ich würde lügen, wenn ich dir etwas anderes sagte. Aber ich sehe auch, daß du dich für diesen Weg entschieden hast, und niemand könnte dich aufhalten, noch sollte das einer. Du bist Gilgamesch, und du wirst tun, was Gilgamesch will. Außerdem, Enkidu hat recht. Ihr werdet einander finden. Irgendwie.«
    »Ja«,

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