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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die alles vernichteten, was auf ihrem Weg lag, aus purer Zerstörungslust. Das Ganze hatte fast einen Anflug von religiösem Wahnsinn, diese Lust an der Zerstörung von Dingen. Sie nannten es, die Erde reinfegen.«
    »Und wenn seine Krieger mit der Säuberungsaktion fertig waren, dann salbte er sich glorreich mit dem Fett der Erschlagenen, ist das so? Eine Jubelzeremonie, die er vergnüglich auch in der Nachwelt weiterpraktiziert?«
    »Oh, er tut Schlimmeres als das.«
    Gilgamesch zog eine Braue hoch. »Ja?«
    »Viel schlimmere Sachen.«
    »Zum Beispiel?«
    »Verlange nicht, daß ich es dir sage. Das übrige mußt du selbst herausfinden. Ich bin zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wenn ich meinen Eid breche, wird er es sofort wissen. Und mich hinauswerfen, mich verstoßen.«
    »Verstoßen, wie und wohin?«
    Herodes wirkte verblüfft. »Aus seiner Nähe! Aus seiner Glaubensgemeinschaft! Aus… aus seinem Licht!«
    Licht? Das war ein merkwürdiger Ausdruck, fand Gilgamesch, bei einem, der in solchem Dunkel herrschte und der selbst die Verkörperung der Schwärze zu sein schien. Er sah Herodes angewidert an. »Du betest ihn an, wie?«
    Herodes lächelte schief und nervös. »Ich würde es ungern so drastisch ausdrücken.«
    »Wie du willst.«
    »Ich würde sagen, er fasziniert mich, mehr nicht.«
    »Nur so rein wissenschaftlich?«
    »Nein, schon ein wenig mehr«, sagte Herodes. »Das kann ich nicht bestreiten. Er flößt mir Ehrfurcht ein. Ich bin von ihm fasziniert und verspüre Ehrfurcht, das ja. Aber dir geht es ja nicht anders. Gestehe es ein, Gilgamesch! Ich habe dich beobachtet. Er ist beinahe so groß wie du und vielleicht ebenso stark, und es ist etwas um ihn, eine geheimnisvolle Stärke und Kraft die dich anzieht, genau wie sie alle anzog, die je in seine Nähe gerieten. Gib es schon zu! Gestehe es ein, Gilgamesch!«
    Die helle Tenorstimme hatte wieder diesen intensiven sirrenden Ton, und Gilgamesch brauchte einen Augenblick, um sich zu beherrschen und ihn nicht mit der flachen Hand zum Schweigen zu bringen. Er hatte sich sagen lassen, daß es in der Nachwelt gewisse arme Seelen gab, denen man die Gestalt seltsamer Kerbtiere verpaßt hatte, als sie hier wiedergeboren wurden, und nicht ihre eigenen früheren Leiber. Schön, körperlich sah Herodes leidlich menschlich aus, aber dennoch hatte er auch irgendwie etwas Insektenhaftes an sich. Von einer Wespe, einer Fliege, einer Stechmücke. Und er war zweifellos ärgerlich.
    Diese Faszination, die er angeblich Calandola gegenüber fühlte. Diese Ehrfurcht. Irgend etwas daran war kränklich, war schwächlich, hündchenhaft unterwürfig und faul. Gewiß ging von dem Schwarzen Menschen eine magische Kraft aus, von der Herodes sich völlig hatte in Besitz nehmen lassen. Und nun begriff Gilgamesch, weshalb er so rasch eine Abneigung gegen Herodes entwickelt hatte. Der Mann suchte nach etwas, nach einer Kraft, größer als er selbst, der er alles überantworten konnte: seine Persönlichkeit, seine Seele, alles. Wenn es nicht Simon war, dann war es der Vulkan. Und wenn nicht der, dann Calandola. Gilgamesch hatte noch nie verstehen können, was es einem Mann brachte, wenn er sich irgendwie selber aufgab; und ganz bestimmt hatte er auch keine sehr hohe Wertschätzung für Menschen, die nach so etwas lechzten.
    »Er mag die Fähigkeit besitzen, durch die Nebel zu blicken«, sagte Gilgamesch, »und kann mir vielleicht sagen, wohin Enkidu verschwunden ist. Das ist das einzige Interesse, das ich an deinem Lord Calandola habe, sonst nichts.«
    »Das ist nicht wahr! Nicht wahr! Aber du willst es einfach nicht zugeben.«
    »Du strapazierst meine Geduld beträchtlich, Hemdes.«
    »Du findest ihn also nicht – anziehend?«
    »Anziehend? Nicht im geringsten. Ich würde eher sagen abstoßend.«
    »Ich wollte, ich könnte dir das glauben.«
    »Sagst du mir ins Gesicht, ich lüge?« fragte Gilgamesch drohend.
    »Ich sage dir, daß du manches verbirgst, sogar vor dir selber«, sagte Herodes. »Ach, vielleicht auch nicht! Vielleicht nicht«, setzte er hastig hinzu, als er Gilgameschs Zorn sah.
    »Gesalbt im Öl der Toten! Ich habe noch in keinem Land so etwas gehört, nicht einmal in den unzivilisiertesten. Es ist monströs, so etwas zu tun, Herodes.«
    »Gut, gut, also ist er ein Monster. Aber würdest du mir nicht wenigstens darin zustimmen, daß er ein grandioses Monster ist? Ein überlebensgroßes, ein Supermonster? Ach, mein Großvater Herodes hätte ihn geliebt! So gewaltig groß, so

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