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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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tun, als wäret ihr wirklich menschliche Wesen…«
    »Das reicht, Herodes!« sagte Gilgamesch etwas strenger. »Hoch. Und raus! Bring mich in die Oberstadt zurück.« Und zu dem Haarigen Mann sagte er entschuldigend: »Er ist einfach bloß etwas überdreht. Ich vermute, die Luft hier unten…«
    »Er möchte seine Seele verkaufen«, sagte der Behaarte. »Aber sein Problem ist, daß er nicht weiß, wo er die finden könnte. Aber ich bin nicht gekränkt. Ich bin es ebenso gewohnt, daß man mich einen Affen heißt, wie du, den Leuten zu erklären, wo das Land deiner Herkunft einmal war. Wenn er es unbedingt nötig hat, sich selbst für die absolute Krone der Schöpfung zu halten, was bedeutet das schon für mich? Er weiß nichts über das Leben, das wir führten, als seine und eure Götter noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen waren, euch zu erschaffen.« Der Behaarte kratzte sich lachend an der pelzigen Brust. »Frag ihn, später, was das für ein Öl war, mit dem dich der schwarze Zauberer gesalbt hat. Nicht jetzt. Aber frag ihn danach.«

10
    M ENSCHENFETT ?« sagte Gilgamesch und fühlte, wie seine Haut sich zusammenzog.
    Herodes nickte hastig eine Bestätigung. Sie befanden sich wieder in Simons Palast und standen beim Brunnen im Hof.
    »Aber woher bekommt er das denn?«
    »Es stehen genügend Leichen zur Verfügung. Das Leben in der Nachwelt ist nicht nur billig, weißt du. Jeder kann sich bedienen, und wer sagt da schon nein dazu?«
    Das war Gilgamesch nur allzu bekannt. In dieser Welt herrschten keine Götter, und Gesetz und Ordnung waren reine Glückssache und von örtlicher Willkür bestimmt. Überall streiften marodierende Truppen umher und unabhängige Banden und freche Brutalos und Leute, die willkürlich töteten; und der Tod war etwas Alltägliches. Aber der Tod hier war nur eine ärgerliche Störung, eine unangenehme, doch gewöhnlich nur kurze Unterbrechung in dem unendlichen Weiterlaufen des Daseins in der Nachwelt. Es gab Leute, die in einer einzigen Woche dreimal gestorben und jedesmal wieder – anscheinend unverändert – wieder aufgetaucht waren. Unbekannte und wahrscheinlich unerforschliche Kräfte irgendwo hinter den Kulissen setzten deinen Körper aus den Stückchen und Fetzchen, die man finden konnte, wieder zusammen, stopften die Seele wieder hinein und entließen die Person dann wieder ins Weiterleben. Nicht daß er selbst so etwas schon erfahren hätte, soweit er sich erinnerte, war er in seinen Tausenden Jahren nur ein einziges Mal gestorben, und dies zu der erwarteten Stunde, als seine ihm zugemessene Erdenspanne ihr vorbestimmtes Ende fand. Aber es war nur eine Frage des persönlichen Stolzes, sich in der Nachwelt nicht umbringen zu lassen. Enkidu hatte das einst über Gilgamesch gesagt, es ihm wütend wie eine Anklage ins Gesicht geschleudert, damals, als sie sich zerwarfen und stritten. »Zu stolz, um zu sterben – zu stolz, den Beschluß der Götter hinzunehmen…« Und Gilgamesch mußte sich eingestehen, daß dies die Wahrheit war. Weil er eben der war, der er war, war er beständig auf der Hut vor irgendwelchen Angriffen in dieser Nachwelt, und wenn er schon einmal angegriffen wurde, sorgte er dafür, daß seine Stärke oder seine List obsiegen mußten. Er konnte nicht gestatten, daß irgendein Mann sich damit brüsten konnte, den gewaltigen Gilgamesch niedergestreckt und erschlagen zu haben. Doch sollte es durch ein Mißgeschick dazu kommen, daß er erneut sterben würde, dann, das wußte er, würde es nicht für lange sein.
    Dennoch und überhaupt – Menschen abzuschlachten und sie, oder die Körper der von anderen Getöteten, auszubraten, um den eigenen Körper mit Leichenfett zu salben!
    »Es ekelt dich?« fragte Herodes.
    Gilgamesch zuckte die Achseln. »Es ist eklig, ja. Wer ist dieser Calandola? Er sagt, er war ein König in Afrika. Aber das sagt mir nicht viel.«
    »Mir auch nicht. Das Afrika, das wir Römer kannten, war ein Landstrich, in dem hellhäutige Menschen lebten, und es lag direkt auf der anderen Seite unseres Meeres. Er muß von tiefer im Mittag sein, aus dem dunklen Teil des Erdteils. Und man sagt, aus einer viel späteren Zeit. Er lebte an einem Fluß namens Zaire in dem Land, das Kongo hieß, in einer Zeit, als die Spanier und die Engländer und die Portugiesen anfingen, sich über den Meeren Weltreiche aufzubauen.«
    »Also sozusagen vorvorgestern, um es so zu bezeichnen.«
    »Ja. Sein Volk waren die Jaqqas. Sie waren Nomaden. Kriegerische Nomaden,

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