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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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sprachen, schien die Erinnerung an die Welt oben zu verblassen, so wie die Stimmen der Kakophonie. Im Augenblick war sie hungrig, müde und fühlte sich verloren. Im Augenblick konnte sie nur daran denken, an einen Ort zu kommen, wo sie sich wohlfühlen würde.
    »Ich habe Hunger«, sagte Septima und blieb abrupt stehen. »Ich glaube, wir haben hier in der Nähe etwas zu essen zurückgelassen.«
    Lily schaute sich um. Sie sah nichts, was diese Stelle von all den anderen im Stollen unterschieden hätte. Der zerklüftete Fels formte dicht über ihrem Kopf eine Decke. Sie begriff nun, weshalb Septima und Tertius in diesen beengten Räumen so gebückt gingen. Nur die gelegentlichen Kerben von Meißeln und die Geradlinigkeit der Stollen selbst deuteten darauf hin, dass hier Menschen Hand angelegt hatten. Die Luft stand und war kalt, und Lily war froh darüber, dass sie ihre dicken Stiefel trug.
    Septima ging auf die Knie und begann mit den Händen den Felsen am Sockel einer der Stollenwände abzutasten. Währenddessen leuchtete Tertius ihr mit seiner Laterne.
    »Wenn wir dir zu essen geben sollen, wirst du uns bezahlen müssen«, erklärte er.
    Lily war überrascht. Im Verlauf des vergangenen Jahres hatte sie sich so an Giseth gewöhnt, wo alles unentgeltlich angeboten wurde, dass sie nicht damit gerechnet hatte, er würde so etwas sagen. Doch dieses Land, Naru, war wohl wieder etwas anderes.
    »Natürlich …«, sagte sie und schwenkte dabei ihr Bündel. »Aber viel einzuhandeln habe ich nicht. Vielleicht habe ich noch ein wenig Laternenöl übrig …«
    Sie langte in ihr Bündel, doch Tertius schüttelte den Kopf.
    »Hast du nicht irgendwelche Informationen?«, fragte er verächtlich. »Oder handelt das Orchester nicht mit Wissen?«
    Lily war sich nicht sicher, was sie von dieser Frage halten sollte. Was für ein Orchester meinte er? Dann fiel ihr ein, wie sie sich verhalten hatten, als sie auf sie gestoßen waren, wie erwartungsvoll er gewesen war, als sie anfing sich zu erklären …
    »Ihr wollt Wissen? Über mich?«, stieß sie hervor.
    Tertius schnaubte. »Endlich begreifst du es«, sagte er genervt. »Du bist aber langsam. Ja – Antworten, Informationen, Geheimnisse. Alles Verborgene.« Er streckte sich und gähnte. »Denk dir etwas Gutes aus. Ich warte.«
    Lily widerstand dem Verlangen, eine sarkastische Antwort zu geben. Ihr Magen grummelte bereits, und wenn er als Bezahlung lediglich ein paar Informationen wollte, war das kein Problem. Einen Moment dachte sie daran, ihm von ihrer Suche zu berichten … von allem, was sie in der Kathedrale der Verlorenen erfahren hatte. Dann entschied sie sich dagegen. Sie konnte sein Bedürfnis nach Fakten auch stillen, ohne ihre kostbarsten Geheimnisse preiszugeben.
    »Ich komme aus einer Stadt, die Agora heißt …«, fing sie an.
    »Was ist eine Stadt?«, unterbrach Tertius sie sofort.
    Lily hob die Brauen. Aber woher sollte er das auch wissen? Vermutlich gab es hier unten nicht gerade viele Städte.
    »Das ist ein Ort, wo viele Menschen leben, alle zusammen …«
    »Wie der Mittelpunkt also?«, erwiderte Tertius.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Lily wahrheitsgemäß. »Ist das der Ort, aus dem du kommst?«
    »Du kannst später fragen!«, blaffte er, und Lily wich zurück. Tertius senkte die Laterne. »Erzähl weiter«, sagte er leiser.
    »Nun … Agora besteht aus Gebäuden und Straßen, und es gibt dort einen Fluss und Plätze und …« Lily runzelte die Stirn. Es war unmöglich abzuschätzen, was die beiden von dem, was sie erzählte, wirklich verstanden. Wie würden sie reagieren, wenn sie ihnen von Agoras wahrem Wesen berichtete – einer Stadt, in der alles gekauft und verkauft werden konnte, in der Kinder von ihren Eltern eingetauscht und Erinnerungen, Gedanken und Gefühle auf dem freien Markt gehandelt wurden? Für einen Agoraner wäre das normal gewesen, für einen Gisethi entsetzlich. Was würde es den Leuten von … wie nannten sie diesen Ort noch … Naru … bedeuten?
    Nein. Lieber würde sie sich an die einfachen Fakten halten.
    »Sie ist in zwölf Bezirke aufgeteilt …«, versuchte sie es weiter.
    »Schütze, Waage, Zwillinge, Wassermann …«, begann Septima sie herunterzurasseln.
    »Alle nach den Sternzeichen benannt«, fügte Tertius hinzu. »Ja, ja, das wissen wir.«
    Verblüfft schaute Lily erst den einen, dann den anderen an. »Aber … wenn ihr von Agora wisst, warum wusstet ihr dann nicht, was eine Stadt ist?«
    Tertius zuckte mit den Schultern.

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