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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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schließlich auf Mark und Lily deutete. »Die Richter haben mich als ihren Vermittler auf dem Gebiet von Naru bestätigt. Sicher ist es nicht erforderlich, dass Sie es hier wiederholen lassen.«
    »Sie hatten nicht die Absicht, Sie zu bestimmen«, erwiderte das Orakel, worauf das Hohelied ein wenig aufflackerte und das flüsternde Echo ihrer Stimme die Höhle erfüllte.
    »Und doch haben sie es getan«, sagte Snutworth kühl. »Eine Tatsache, die sich nicht leugnen lässt. Das Statut spricht nirgends von Absicht.«
    »Nein«, erwiderte das Orakel. Lily spürte, wie ein Schauder sie überlief, als eine Vibration durch den Thronsaal surrte. War das Orakel wütend? Es war schwer zu sagen. Als sie fortfuhr, pulsierte der Sockel des Mittelpunkts, über der Krone ihrer Mutter schwebend, in einem grelleren Licht. »Sie sind noch nicht vorgestellt worden. Der Protagonist ist unvollständig. Sie müssen von beiden vorgestellt werden.«
    Snutworth nickte. »Ja, natürlich. Das dachte ich mir bereits. Mark, kommen Sie her.«
    Mark trat vor. Snutworth langte in seine Tasche, holte einen Lederbeutel hervor und schüttete eine Handvoll winziger Glasfläschchen heraus. Marks Gefühle lagen auf seiner Handfläche, konzentriert zu zähen Flüssigkeiten. Er schaute einen Moment auf sie hinab.
    »Dirigent, die Richter sollten festgehalten werden«, sagte er.
    »Ich … also …« Der Dirigent zögerte.
    Vater Wolfram starrte ihn zornig an. »Wollen Sie Ihren Bestimmungszweck verleugnen, Dirigent?«, knurrte er. »Das Statut hat Ihnen Ihre Macht verliehen, den Grund, warum Sie leben. Fügen Sie sich ihm.«
    Der Dirigent ließ den Kopf hängen. »Haltet sie fest«, befahl er seufzend.
    Natürlich wehrte sich Lily, als sich die behandschuhten Hände um ihre Handgelenke schlossen, aber es geschah fast schon aus Gewohnheit heraus. Snutworth war im Begriff, Mark seine Gefühle zurückzugeben, und sie durfte ihm dabei nun nicht in die Quere kommen.
    Mark leistete keinerlei Widerstand, nicht einmal dann, als die Wachen ihn dazu brachten, sich mit ausgestreckten Armen und Beinen auf den Rücken zu legen.
    Snutworth trat zu ihm und stellte sich über ihn. »Nun also, Mr Mark, bitte versuchen Sie, ruhig liegen zu bleiben.«
    Vorsichtig nahm Snutworth nacheinander die Glasstöpsel aus den Flakons und warf sie auf den Boden. Sie rollten vom Felssteg herunter und fielen auf die weit unter ihnen gelegenen Stalagmiten, wo sie mit einem fernen Klicken landeten.
    »Halten Sie seine Arme fest«, ordnete Snutworth an, während er sich neben Mark hinkniete. Ohne Vorwarnung packte er dann Marks Kinn, riss ihm den Mund auf und flößte ihm rasch hintereinander den Inhalt sämtlicher Flakons ein.
    Als Snutworth auch den letzten leerte und Mark den Mund mit Gewalt schloss, wollte Lily einen Satz nach vorne machen. Die Gefühle mussten nach und nach wieder eingenommen werden, nicht alle auf einmal. Doch die Wächter hielten sie fest.
    Marks Blick weitete sich. Seine Gliedmaßen zuckten, und die Adern auf seiner Stirn traten hervor. Einen Moment lang drang ihm der Ansatz eines Schreis über die Lippen, doch Snutworth zog ein Taschentuch aus seiner Tasche und stopfte es Mark in den Mund. Während Snutworth aufstand und losging, wurden Marks Krämpfe immer stärker, und ihm kamen die Tränen. Lily konnte es nicht länger ertragen zuzuschauen. Sie riss sich von den Wächtern los und rannte zu Mark hinüber. Sie kniete sich hin, umklammerte seine Schultern und bemühte sich, ihn davon abzuhalten, mit dem Kopf auf den Fels zu schlagen.
    Langsam, ganz langsam begann Mark sich zu beruhigen. Sein Gesicht war fast violett angelaufen und schmerzverzerrt. Seine Brust hob und senkte sich, während er wegen der Schmerzen schluchzte. Sanft nahm sie ihm das Taschentuch aus dem Mund. Das Geräusch, das ihm über die Lippen drang, hatte sowohl etwas von einem Stöhnen als auch von einem Schrei.
    »Lily …«, sagte er wirr. »Was … was …?«
    »Nun also, Orakel«, sagte Snutworth, alles und alle übertönend. »Zwei Richter, vollzählig und unversehrt. Akzeptieren Sie mich jetzt?«
    Das Orakel schaute auf Mark hinunter. Der Kristall über ihr pulsierte erneut, und das Hohelied wurde lauter. Lily spürte es in ihrem Bauch, so als atmete der ganze Raum aus. Dann nickte das Orakel.
    »Ja«, sagte sie.
    »Gut«, erwiderte Snutworth. »Wenn Sie dann bitte den Thron für mich räumen würden?«
    Urplötzlich und grauenhaft ergab alles einen Sinn. Immer hatte Lily wissen wollen,

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