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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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hätte. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    Lily wünschte, sie hätte eine schlagfertige Antwort parat. Stattdessen bemühte sie sich nach Kräften, einen würdevollen Eindruck zu machen, biss sich auf die Zunge und nickte.
    Snutworth lächelte. »Ausgezeichnet. Es ist stets angenehm, zivilisiert miteinander umzugehen. Wo wir gerade davon sprechen …« Er machte auf dem Absatz kehrt, wandte sich der Stollenöffnung zu und trat vor. »Guten Tag. Könnte mich einer von Ihnen liebenswürdigerweise zum Dirigenten führen?«
    Lily zerrte Mark in Richtung des Stolleneingangs. Wolfram folgte ihnen. Der Stollen öffnete sich zu einem Raum, in dem Lily bereits mehrmals gesessen hatte. Es war der Speisesaal des Mittelpunkts, wo sie mit den merkwürdigen Bewohnern von Naru gegessen hatte, bevor die Erkundung des Hohelieds ihre ganze Zeit in Anspruch genommen hatte. Ihr blieb kaum Gelegenheit, die überraschten Gesichter der Menschen aufzunehmen, die von den auf Böcken stehenden Tischen hochschauten, oder den Geruch des in den Töpfen kochenden Fleisches. Denn nun stand eine vertraute Gestalt vom Kopfende des größten Tisches auf und wischte sich Krümel von ihrem bunten Gewand.
    »Lily, sind Sie das?«, rief der Dirigent und eilte auf sie zu, während sich die Schar der Naruvaner um ihn herum teilte wie Wasser vor einem Hindernis. »Einige der unseren sagten, sie hätten ein Echo Ihrer Stimme in den Ländereien oben vernommen, doch das Orakel wollte uns nicht sagen, was geschehen war. Und wir waren auch zu sehr damit beschäftigt, den Schienenknoten zu reparieren und die Karren und …« Der Dirigent verstummte, da er erst jetzt die anderen bemerkte. »Sie haben Freunde mitgebracht? Ausgerechnet heute? Das muss dann ja bedeuten …«
    »Das tut es in der Tat«, unterbrach ihn Snutworth. »Ich fürchte, wir haben keine Zeit, Höflichkeiten auszutauschen. Ich berufe mich auf die Rechte, die im Mitternachts-Statut vermerkt sind«, intonierte er, sodass seine Stimme durch die gesamte Höhle hallte. »Der Tag des Urteils ist angebrochen, und ich spreche im Namen der Richter.«
    Der Dirigent trat einen Schritt zurück, während aufgeregtes Stimmengewirr den Raum erfüllte.
    »Entspricht das der Wahrheit?«, fragte der Dirigent und blickte erstaunt erst Mark und dann Lily an. »Ist dieser Mann der Vermittler eurer Wahl?«
    Wolfram flüsterte Mark etwas ins Ohr.
    »Ja, das ist er«, erwiderte Mark automatisch.
    Der Dirigent blinzelte, doch bevor er etwas erwidern konnte, hatte sich Snutworth bereits Lily zugewandt.
    »Ich glaube, dieser Gentleman braucht eine Antwort, bevor wir fortfahren, Miss Lilith«, sagte er und klopfte dabei leicht auf seine Tasche. Lily hörte die Glasflakons klirren.
    »Ja«, murmelte sie. Es war kaum mehr als ein Flüstern. Die Stimmung im Raum veränderte sich. Das Stimmengewirr wurde lauter, doch nun schwang Furcht in ihm mit.
    »Ihr alle habt die beiden gehört«, verkündete Snutworth, dem es nach wie vor gelang, seiner Stimme einen sachlichen Tonfall zu verleihen. »Ich bin der von ihnen ausgewählte Stellvertreter, ihr Vermittler. Ich werde das Urteil in ihrem Namen sprechen.«
    Dieses Mal konnte Lily sich nicht beherrschen. Sie trat einen Schritt vor, verzweifelt darum bemüht, den Dirigenten zu warnen, dass dies hier falsch war, dass dieser Mann ein Lügner war, ein Monster …
    Wolframs eiserner Griff legte sich auf ihre Schulter. Sie erstarrte. Nach wie vor standen Marks Gefühle auf dem Spiel. Doch Snutworth konnte so viele Reden halten, wie er wollte; noch hatte sich nichts geändert.
    »Sehr wohl, Sir«, sagte der Dirigent resigniert. »Dann … wünschen Sie zum Orakel gebracht zu werden?«
    »Ja«, erwiderte Snutworth. »Doch zuvor« – er drehte sich zu Mark und Lily um – »haben Sie Wachen hier?«
    Unbehaglich trat der Dirigent von einem Bein aufs andere. »Wir lehnen körperlichen Kontakt ab, Sir, aber wir haben durchaus Leute, die als Wächter dienen. Sie dürften für derartige Pflichten geeignet sein …«
    »Das wird genügen«, sagte er. »Rufen Sie sie herbei.«
    Lily beschloss, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Sie blieb stumm, als die Wächter eintrafen. Diese hatten sich Tücher vor Mund und Nase gebunden und trugen Handschuhe, um den körperlichen Kontakt so weit als möglich zu reduzieren, während sie mit ihnen durch die Stollen gingen, immer tiefer in Richtung des Thronsaals des Orakels. Erfahrene Wächter schienen sie nicht gerade zu sein, doch es waren mindestens

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