Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
gefragt, und ich hatte geantwortet: »Nur für Anteks.« Nun versuchte ich, mich dazu zu bringen, von meiner Schwester zu träumen, wie ich Tarek aufgetragen hatte, von dem weißen Stein zu träumen. Wenn ich sie dazu anstacheln konnte, in einem Traum zu mir zu kommen, würde ich vielleicht weitere Auskünfte von ihr erhalten, ohne tatsächlich den Pfad der Seelen ins Land der Toten betreten zu müssen. Bislang hatte ich mich stets davor gefürchtet, von meiner Schwester zu träumen…
… grüne Augen, in denen der Wahnsinn glitzerte, während sie meinen Namen aus dem Nebel rief …
…aber nun wollte ich von ihr träumen. Tarek hatte sich dazu gezwungen, das zu träumen, was er träumen wollte.
Aber ich konnte es nicht. In jenem kurzen Schlaf suchten mich keine Träume heim. Dann marschierten wir wieder, bis die Dämmerung anbrach und der Regen dankenswerterweise aufhörte. Glühende Feuer trockneten unsere Kleidung ein wenig, aber nicht sehr. Allzu bald bedeutete mir mein Wächter ungeduldig, zur nächtlichen Unterweisung zu Tareks Zelt zu gehen, als würde der Junghäuptling noch daran glauben. Diese Nacht konnte die letzte sein, die ich im Land der Lebenden verbrachte.
Ich sagte nichts zu den anderen. Tom würde nur aufbrausen und alles schlimmer machen, und ich hatte schon alles gesagt, was ich Jee sagen musste. Ich hatte Prinzessin Stephanie versprochen, dass ich später am Tag zu ihr kommen würde, aber ich glaubte nicht, dass ich dieses Versprechen einhalten konnte. Wie so viele andere.
Aber ich hatte einen Plan. Verzweifelt, dumm, aber dennoch ein Plan. »Hilf ihr«, hatte Lady Margaret gesagt, und Lord Robert Hopewell hatte im Palastkerker behauptet, dass es meine Pflicht wäre, die Prinzessin zu retten. Aber weder Lady Margaret noch Lord Robert beeinflussten mich so sehr, wie es ein anderes Kind tat: Mein ungeborener Sohn. Ich konnte ihm nicht helfen, konnte nicht zu ihm gehen, selbst wenn ich überlebte, außer ich wollte meine wahnsinnige Schwester dazu bringen zu entdecken, dass es ihn gab. Ich konnte auch nicht viel für Jee tun. Daher würde ich für Stephanie tun, was ich konnte, das dritte Kind, das in diesem tödlichen Krieg gefangen war, den keiner, auch ich nicht, wirklich verstand.
Wir erreichten Tareks Zelt, und ich trat ein.
43
Der Junghäuptling stand da und besprach sich mit einem seiner Hauptleute. Sie brachen ab, sobald ich eintrat, der Hauptmann hob die Faust zum Salut und ging. Er warf keinen Blick auf mich. Ich hätte genauso unsichtbar sein können wie Jee, weil er glaubte, dass ich eine Hexe war.
»Klef«, sagte Tarek.
Er hatte mich nicht Antek genannt. Das Einzige, was ich tun konnte, war, den ersten Angriff zu führen und zu hoffen, dass er ins Straucheln kam.
»Mein Lord, Ihr fangt an zu glauben, dass ich kein Antek bin.« Die Sprache war ein Hindernis; ich kannte das Wort für »Glauben verlieren« nicht. Aber ich hatte seine Aufmerksamkeit. Seine blauen Augen wurden schmal und musterten mich. Er sagte nichts.
»Zuletzt habt Ihr mir aufgetragen, ins Hexenland zu gehen und etwas mitzubringen.«
»Ja.« Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Tarek, der Soldat, erkannte einen frontalen Angriff, wenn er einen sah.
»Ich werde es tun, aber nicht jetzt. Nicht heute Nacht.«
»Weshalb nicht?«
»Weil ich ein Antek bin, und ein Antek bricht nicht mit seiner Disziplin, nicht einmal für seinen Anführer.«
Tarek sagte nichts. Einen langen Augenblick dachte ich, dass ich verloren hatte. Ich hatte darauf gesetzt, dass ein Antek in seiner eigenen Sphäre tatsächlich in erster Linie seiner Kunst treu ergeben war. Wenn ich damit nicht recht hatte, war ich tot, und Tom und Jee mit mir.
Schließlich sagte Tarek: »Das stimmt«, und ich atmete wieder. »Wann schickt dich deine Disziplin ins Hexenland? Ich sage dir, Antek: Es muss bald sein.«
»Es wird bald sein.«
»Wann?«
»Es wird sein, wenn Ihr die Prinzessin ablegt.«
Er legte die Stirn in Falten. »Ablegt?«
Ich hatte das einzige womöglich passende Wort benutzt, das ich auf Tarekisch kannte: »wegwerfen«, wie ein Messer, das kaputtgegangen war. Offenbar war das nicht das richtige Wort. Der weiße Stein lag auf Tareks dreibeinigem Hocker. Hatte er vor, ihn mir zurückzugeben, um mich zu entlassen und so seine Geringschätzung zu zeigen? Mit meiner einen heilen Hand nahm ich den Stein, drückte ihn fest, um das Zittern meiner Finger zu unterdrücken, und nahm meinen Mut zusammen, um es noch einmal zu
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