Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
behandelten, hätten die Soldaten davor zurückscheuen müssen, den Leichnam auch nur zu berühren. Trotzdem musste Tarek den Befehl erteilt haben, dass Lady Margaret mit jenen Todesriten bestattet werden sollte, die bei ihrem Volk üblich waren, und seine Soldaten hatten gehorcht. Disziplin.
Wir standen dort, während der Himmel sich noch weiter verdüsterte und ein paar einzelne Regentropfen fielen. Nur ein wenig kälter, und aus dem Regen würde Schnee werden. Tom murmelte: »Worauf warten wir?«
Jee sagte: »Auf sie.«
»Wen?«, fragte Tom.
»Die Prinzessin.«
Natürlich. Jee hatte das schneller begriffen als ich. Lady Margaret war Prinzessin Stephanies ältere Begleiterin gewesen. Für Tarek stellten weder Kindheit noch Hysterie ein Hindernis dar, um die königliche Pflicht wahrzunehmen, den Todesriten beizuwohnen. Auf seine eigene Art benahm er sich anständig. Ich verabscheute es.
Tom sagte: »Sei nicht dumm, Jee. Niemand würde ein kleines Mädchen hierher…«
Die Prinzessin trat zwischen den Bäumen hervor.
Sie klammerte sich an die Hand ihrer Amme, und ihr kleines Gesicht war so blutleer wie der Stein, den ich Tarek gegeben hatte. Ihre Augen waren von Panik erfüllt. Ihre Wache und sechs oder acht Leute aus dem Palast folgten ihr. Tom reckte den Hals auf der Suche nach Alysse. Sie war nicht darunter.
Als Stephanie am Rande der Grube ankam und hinabblickte, trat Verwunderung auf ihr Gesicht. Sie wich der Erkenntnis, und sie öffnete den Mund, um zu schreien.
Sofort rannte Jee auf sie zu: »Nein, es ist schon in Ordnung!«, rief er, und sie wandte sich um, um zu sehen, wer gerufen hatte. Ehe Jee sie erreichen konnte, packte ihn ein Wächter der Prinzessin und schmetterte ihn gegen einen Baum. Sofort war er wieder auf den Beinen, schüttelte den Kopf und machte sich wieder zur Prinzessin auf.
»Nein, Jee!«, rief ich und lief selbst auf sie zu. Also berührten ihn die Wilden doch, wenn er sich der Prinzessin näherte. Sie würden ihn töten. Mich aber nicht. Diese Männer hatten gesehen, wie Tarek mich gestern Abend in Stephanies Zelt zurückgelassen hatte. Ich ging zu ihr, kniete mich neben sie, und sie umklammerte mich mit ihren bebenden kleinen Armen.
»Euer Gnaden, schreit nicht. Ich meine es ernst. Ihr müsst tapfer sein.«
»Komm, Lämmchen«, sagte die Amme, die versuchte, mir Stephanie abzunehmen. Sie klammerte sich fester an mich. Blut lief Jees Gesicht hinab, zwanzig Schritte entfernt.
»Ihr seid nicht allein, Euer Gnaden. Schreit nicht. Ich bin hier.«
Sie nickte. Ich hob sie mit meiner einen heilen Hand und dem Stumpf der anderen auf. Die Amme warf mir einen neidischen, finsteren Blick zu, und die Wachen wechselten Blicke. Aber sie gestatteten es. Ihre Mienen sagten, dass diese Todesriten, wie immer sie aussahen, nichts mit ihnen zu tun hatten. Sollte das Sklavenvolk des eroberten Landes all das nur schnell hinter sich bringen, damit der Marsch in die Heimat weitergehen konnte.
Dann tat niemand etwas, und ich erkannte, dass es an mir sein würde, dem Antek.
Während der Kopf der Prinzessin sich in meine Schulter grub, ging ich zum Rand des Grabes und sagte laut: »Wir überantworten die Seele von Lady Margaret dem… dem Himmel, und wir… äh… überantworten ihren Körper der Erde. Sie war eine gnädige Dame. Eine gute Frau, die vielen geholfen hat und von allen geliebt wurde. Lady Margaret, lebt wohl. Amme, bringt die Prinzessin fort, und ihr anderen folgt nach. Kevel bik ben tekir, semak. Ihr beiden dort, bedeckt den Körper mit Erde.«
Die beiden Soldaten, auf die ich mit dem Stumpf meiner Hand gezeigt hatte, wirkten überrascht, dann wechselten sie einen Blick. Aber sie gingen zu den Schaufeln, die an einem Baum lehnten. Die Leute aus dem Palast, die genauso überrascht waren, von jemandem Befehle zu erhalten, der einst der Narr der Königin gewesen war, gehorchten trotzdem. Die Amme nahm mir Stephanie ab, noch während ich flüsterte: »Seid tapfer. Ich werde Euch später besuchen.« Jees Blick folgte ihr. Ein paar Augenblicke später waren nur noch er, Tom, ich und die beiden Wachen auf der Lichtung verblieben und beobachteten, wie die Wilden Erde über Lady Margarets Körper schaufelten.
Dann ging Jee auf das Grab zu. Die Soldaten wichen vor ihm zurück. Der Junge beugte sich vor und warf einen Zweig auf die Erde, den er von einer Stechpalme abgerissen hatte. So spät im Jahr gab es keine Blumen, aber die tiefroten Beeren und die glänzenden grünen Blätter leuchteten
Weitere Kostenlose Bücher