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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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hier tatsächlich sehr viel näher als auf der anderen Seite. Wir konnten ihn in einem weiteren Tagesmarsch erreichen, oder vielleicht in eineinhalb Tagen.
    Tom wollte sprechen. Er kauerte sich vor das Feuer, verlagerte ruhelos das Gewicht von einem riesigen Bein auf das andere, bis er hervorstieß: »Welchen Sinn hat es dann, tot zu sein?«
    »Was?« Ich versuchte gerade abzuschätzen, wie lange die Ziege vorhalten würde und ob ich den Pfad der Seelen betreten und nach weiterer Nahrung suchen sollte. Toms Appetit war erstaunlich, musste seinen großen Körper nähren.
    »Ich sagte, was für einen Sinn hat es, tot zu sein? Wenn man dann nichts tut, als herumzusitzen und immer denselben Felsen anzuschauen?«
    Ich dachte plötzlich an etwas Helles und Schreckliches– das Schwert, hatte Alysse es genannt–, das aus dem Himmel herabgefahren war, als ich die Armee der Blauen geholt hatte. Aber ich wusste nicht, was es war oder was es für die Toten bedeutete. Ich wusste nur, dass mich die Erinnerung erschreckte.
    »Und wenn ich schon dabei bin«, fuhr Tom fort, und nun lagen Wut und Verzweiflung in seiner Stimme, »was ist der Sinn, am Leben zu sein, wenn man hier endet? Du und ich und George und alle, nur Häufchen, die an diesem schrecklichen Ort herumsitzen? Sag mir das, Roger!«
    »Was sagen?«
    »Wofür es gut ist? Der Tod, oder sogar das Leben? Weshalb sollte man sich die Mühe machen?«
    »Tom«, antwortete ich sanft, »hast du dir vorher nie solche Gedanken gemacht?«
    »Natürlich nicht! Normale Leute denken nicht an solche Dinge. Sie denken ans Jagen und Säen und ihr Essen und an Frauen und… die üblichen Dinge. Aber dann endet alles auf diese Weise. Hier!«
    Ich hatte immer über den Tod nachgedacht, hatte den Tod immer gekannt. Ich hatte allerdings auch immer gewusst, dass ich nicht normal war. Ich war ein Hisaf.
    Tom sagte: »Ich wünschte, du hättest mich nicht hergebracht.«
    »Aber dann hätte Tarek dich getötet, und du wärst trotzdem hierhergekommen.«
    Tom stöhnte, und ich erkannte, dass er wirklich verstört war, und zwar tiefgehend: die Qualen eines Mannes, der tatsächlich nie über die nächste Mahlzeit oder das nächste Mädchen hinaus gedacht hatte– und nun war er dazu gezwungen. Ich schuldete Tom mein Leben; ich musste ihn besser behandeln.
    »Tom, es ist nicht alles, was es gibt. Nicht hier, meine ich. Und im Land der Lebenden gibt es viel mehr. Es gibt…«
    Maggie.
    Sie kam mir so lebhaft in den Sinn, als wäre sie es, und nicht Tom Jenkins, die neben mir saß. Ich konnte sie beinahe sehen, berühren, den sauberen, süßen Duft ihrer hellen Locken riechen. Maggie, die zu mir gestanden und mich geliebt hatte und nun mein Kind trug. Maggie, die ich liebte– wie ich auf einmal erkannte, hier, an diesem trostlosen Ort.
    »Was gibt es?«, wollte Tom wissen. Aber ich war zu aufgewühlt, um gleich zu antworten. Das also war Liebe. Nicht das schwindelerregende Verlangen, das ich für Cecilia empfunden hatte, das von Kräutern hervorgerufene Begehren für Fia, sondern diese machtvolle Empfindung, dass Maggie die Frau war, die an meiner Seite sein sollte, deren Leben mit meinem verflochten war, die ich nicht nur halten, sondern mit der ich auch sprechen und streiten wollte, die ich beschützen und von der ich herumkommandiert werden wollte. Maggie.
    »Du hast keine Antwort«, sagte Tom. »Es gibt nicht mehr. Dies ist das Ende– herumzusitzen wie eine leere Hülle. Ich wäre am liebsten nie geboren worden.«
    »Nein«, brachte ich schließlich hervor. Ich musste Tom ein wenig Trost geben, und es musste etwas sein, das er wollte, nicht etwas, von dem ich gerade entdeckt hatte, dass ich es wollte. »Ich glaube nicht, dass das das Ende ist, Tom. Eine weise Person hat mir einst gesagt, dass die Toten warten.«
    »Worauf warten?«
    »Ich weiß es nicht. Das hat sie mir nicht gesagt. Aber es kommt mehr, am Ende.«
    »Wer war diese weise Person, die dir das gesagt hat? Ge orge ?«
    »Nein. Eine Hexe.«
    »Nun, schon wieder so etwas Verdammtes«, stieß er hervor. »Ich habe vorher nie an Hexen geglaubt, und nun dieser Ort… und all diese Toten… und du hast uns hergebracht…« Er vergrub den Kopf in den Händen.
    Ich versuchte es wieder. »Wir werden nach Hause gehen, sobald wir im Königinnenreich ankommen, Tom. Und du wirst ein langes und erfülltes Leben haben, mit allen möglichen Mädchen. Und wenn du eines Tages stirbst und hierherkommst, wird es nur vorübergehend sein. Wie ein…

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