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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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schritten wir unter Gesängen über eine einherreitende Dame, einen einherstolzierenden Jäger, einen einherwankenden Soldaten und ein einhertanzendes Mädchen zwischen den Toten hindurch, während sich kein Lüftchen regte und das Dämmerlicht sich nicht veränderte.

47
    Im Land der Toten dehnt sich das Gelände aus und schrumpft, wie es gebraucht wird. Wo viele gestorben sind, kann eine Meile im Land der Lebenden zu zehn Meilen auf der anderen Seite werden. Aus einem Teich kann ein großer See werden, aus ein paar Bäumen ein riesiger Wald. Wenn im Gegenzug wenige in einem Gebirge, in der Wüste oder einer wilden Schlucht gestorben waren, mochten aus zehn Meilen eine werden. Aber niemals weniger als eine, und selbst wenn der Weg zurück ins Königinnenreich kürzer war als der Weg, den Tarek und seine Armee und seine Gefangenen zurückgelegt hatten, war es trotzdem eine große Entfernung. Nach ein paar Stunden waren Stephanie und Jee, die beide in der vorigen Nacht wenig geschlafen hatten, erschöpft.
    »Wir werden hier anhalten und ein Lager aufschlagen«, sagte ich.
    Tom nickte. Das war etwas, das er verstand. Er sammelte Holz, zog seinen Feuerstein und Stahl heraus und fing an, ein Feuer zu machen. Man brauchte kein Feuer: Es gab weder Kälte noch Dunkelheit noch wilde Tiere, und wir hatten nichts zu kochen. Unsere beiden Fellumhänge waren hier viel zu warm, aber Tom brauchte ein Feuer. Er entfachte eine Glut und legte die Kinder daneben zum Schlafen hin. Ich hörte, wie Jees Magen knurrte, aber sowohl er als auch Stephanie schliefen zu schnell ein, um sich über den Mangel an Nahrung zu beklagen. Nicht so Tom.
    »Roger…«
    »Du hast die erste Wache, Tom«, sagte ich. »Hast du deine Messer?«
    »Ja.« Er ließ sie vor mir aufblitzen. »Was für Tiere gibt es hier? Solche wie… wie Schatten und Wolle? He! Wenn sie wie unsere Hunde sind, können wir vielleicht einen suchen, damit er für uns jagt und…«
    »Ich weiß nicht. Ich muss mal pissen, Tom. Verlass die Kinder nicht.«
    »Nein, werde ich nicht, aber Roger…«
    »In einer Minute.« Ich war fort, ehe er mir weitere Fragen stellen konnte. Tom würde mir nicht folgen, nicht ohne Jee und Stephanie. Ich hatte Zeit.
    Als ich außer Sicht war, legte ich mich unter den niedrigen Ästen einer Bergkiefer auf den Boden und stieß mir einen spitzen Stein in den Oberschenkel.
    Mein Versprechen an Alysse war schon gebrochen, und ich musste wissen, wie meine Lage war. Wenn Tarek mich am Leben gelassen hatte und in Gefangenschaft hielt, würde ich in meinen Körper zurückkehren und konnte mir dann sofort auf die Zunge beißen und ins Land der Toten zurückgehen. Die Wilden begriffen vielleicht gar nicht, dass ich kurz da gewesen war. Wenn ich andererseits schon tot war, aber aus irgendeinem Grund nicht in den Ruhezustand überging, würde ich den Pfad der Seelen gar nicht betreten können. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich dann tun würde, aber zumindest würde ich es wissen. Lebte ic h drübe n in diesen Bergen der Wilden noch oder war ich tot?
    Dunkelheit …
    Kälte …
    Erstickender Dreck in meinem Mund …
    Würmer in meinen Augen …
    Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umschloss …
    Und dann lag ich unter den gleichen niedrigen Zweigen einer Bergkiefer, aber helles Licht schien zwischen den grünen Nadeln hindurch. Ein überraschtes Eichhörnchen, das in den Schatten gesessen hatte, quiekte bei meinem plötzlichen Erscheinen und eilte einen Baumstamm hinauf. Einen Augenblick später wurde mir eine Nuss auf den Kopf geworfen.
    Ich war zurück im Land der Lebenden, aber nicht bei Tareks Armee.
    In meinem Kopf drehte sich alles. Das war noch nie zuvor geschehen. Nicht nur mein Geist, sondern mein Körper als Ganzes war durch das Grab gegangen. Nichts von mir war in Tareks Lager zurückgeblieben– ich hatte mich »weggeblitzt«, wie Tom es formuliert hätte. Wie konnte ich mich körperlich ins Land der Toten begeben haben, wenn mein Körper zuvor immer zurückgeblieben war?
    Langsam verstand ich, und die Erkenntnis ließ mir das Herz gefrieren. Es lag an der Bresche, die das Seelenrankenmoor in das geschlagen hatte, was die undurchdringliche Mauer des Grabes hätte sein sollen. Als Folge dieser Bresche konnten Hisafs nun wirklich zwischen den Ländern auf beiden Seiten des Grabes wechseln, konnten sogar auf einer Seite reisen, um plötzlich und unerwartet auf der anderen zu erscheinen. Es war ein erschreckender Beweis dafür, wie weit das

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