Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Schließlich verstand ich meinen eigenen schrecklichen Traum von meiner Mutter. Es waren nicht meine eigenen Erinnerungen, sondern die verdrehten Bilder meiner Schwester. »Durch Blut verbunden«, hatte Alysse über meine Schwester und mich gesagt.
Nun wusste ich, weshalb meine Schwester Stephanie jagte. Sie wollte Stephanie benutzen, um mich zu töten, wie sie Lady Margaret und die Amme getötet hatte. Oder, wahrscheinlicher, das Seelenrankenmoor wollte meine Schwester benutzen, um durch sie an Stephanie heranzukommen.
»Stephanie«, sagte ich und ließ zum ersten Mal ihren Titel weg, »dies ist sehr wichtig. Weißt du, wo das böse Mädchen ist?«
Sie nickte. »Weit weg.«
Weit weg. Das erklärte, weshalb man uns im Land der Toten bislang nicht behelligt hatte. Meine Schwester und ihre abtrünnigen Hisafs mussten durch das Land der Toten wandern, genauso wie wir, wenn sie uns erreichen wollten. Niemand konnte dem entgehen, und einen kurzen Augenblick schöpfte ich Trost aus der bloßen physischen Beschaffenheit der beiden Reiche. Meine Schwester war weit entfernt.
Aber es war ein kalter Trost. Die Prinzessin war hier, in meiner Nähe. Und möglicherweise konnte dieses kleine Mädchen in ihrer Unwissenheit einen Traum benutzen, um mich dazu zu zwingen, mein eigenes Herz zum Stillstand zu bringen. Stephanie konnte mich totträumen.
Ich brachte hervor: »Kennst du den Namen des Ortes, an dem das böse Mädchen jetzt ist?«
Wieder nickte die Prinzessin. »Ja. Seelenrankenmoor.«
»Kommt sie her?«
»Ich weiß nicht.«
Aber ich wusste es. Natürlich kam meine Schwester her, um sich Stephanie zu holen. Und ich musste meine Mündel so rasch wie möglich über die Berge bringen, sodass ich sie ins Land der Lebenden zurückführen konnte, ehe meine Schwester und ihre Gehilfen uns erreichten.
»Tom«, sagte ich, »lösch das Feuer. Wir müssen weitergehen.«
Es war keine leichte Reise hinauf über den Bergpass, was dreimal so lange dauerte, wie Tarek gebraucht hatte, um seine Armee in entgegengesetzter Richtung über den Berg zu bringen. Meine Beine schmerzten. Erschöpfung vernebelte mir den Verstand, der nur an Maggie denken wollte und sich nicht lange konzentrieren konnte. Für Tom war es schlimmer, denn er trug Stephanie, wenn sie nicht mehr gehen konnte, was oft der Fall war. Tom beschwerte sich nie, und auch Jee nicht. Und die Prinzessin, die entweder von dem Mut der beiden angesteckt wurde oder auch ihren eigenen zusammennahm, den sie von ihrer wunderbaren Mutter geerbt hatte, ertrug ihre eigene Erschöpfung still.
Wir ließen nicht zu, dass sie träumte. Also musste einer von uns immer wach neben ihr sitzen, und wenn ihre schlafenden Lider zu zucken begannen und ihr zarter Körper sich herumwarf, rüttelten wir sie wach, ehe Alpträume ihren Geist heimsuchen konnten. »Wacht auf, Euer Gnaden«, murmelte ich, häufig nicht sicher, ob ich nicht selbst in einem Traum endloser Erschöpfung gefangen war. »Schon gut, meine Dame«, gurrte Jee. Und Tom: »Kommt schon, kleine Prinzessin, schaut Tom an! Schaut die hübsche Blume dort drüben an! Schaut… Roger an! Sieht er nicht gut aus?« Tom schien zu glauben, dass Kinder dauernd Ermunterung brauchten, als wären sie Schafe, die sich nicht zusammentreiben ließen. Ich sah nicht gut aus, und Stephanies kleines, verkniffenes Gesicht blinzelte Tom an, als wäre er verrückt. Aber sie entging dem Traum.
Dann setzten wir unsere Wanderung fort. Es gab weiteres Ziegenfleisch, aber weniger Tote in diesen hohen, abgelegenen Regionen des Königreichs der Wilden. Bis wir den Bergpass erreichten und zum ersten Mal mit dem Abstieg begannen.
»Das Fleisch ist schlecht«, verkündete Jee, der das armselig kleine letzte Päckchen mit dem Ziegenfleisch öffnete.
»Igitt! Was für ein Geruch!«, sagte Tom. »Vergrab es, Jee. Roger, wir brauchen mehr Nahrung.«
Alle drei starrten mich an: Tom zuversichtlich, Jee unsicher, Stephanie hoffnungsvoll. Sie sagte: »Kannst du etwas Kuchen holen? Oder Äpfel?«
Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich Äpfel aus einem Rübenkeller oder einem Vorratsraum in einem Bauernhaus der Wilden stahl. »Nein, ich glaube nicht, Euer Gnaden.«
»Oh.« Ihr Gesicht wurde lang.
»Nimm mich mit«, sagte Jee. »Ich werde sie holen.«
Jee würde versuchen, alles zu stehlen, was Stephanie wollte, von Kuchen bis hin zu Edelsteinen, aber ich würde ihn nicht mitnehmen. Ich war mir immer noch nicht sicher, was geschehen würde, wenn ich die drei ins
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