Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
Land der Lebenden zurückbrachte, und ich würde es nicht mehr als einmal tun. Lebende Menschen mochten sich von Stiefeln oder Rasiermessern unterscheiden. Und was dann?
»Jee, du musst hierbleiben und die Prinzessin bewachen. Wartet jetzt hier.«
»Wohin gehst du, Roger?«, rief Tom, als ich mich aufmachte.
»Wartet hier«, sagte ich über die Schulter. Weshalb wollte ich nicht, dass sie sahen, wie ich verschwand, wenn ich den Pfad der Seelen betrat? Ich sagte mir, dass ich Stephanie keine Angst einjagen wollte, aber das war nicht die Wahrheit. Ich wusste nicht, was die Wahrheit war. Auf jeden Fall ging ich ein kleines Stück fort, zu einem Hain am Hügel, von wo aus ich eine Ansammlung von Toten in einer kleinen Senke unterhalb sehen konnte. Ich legte mich hin und betrat den Pfad der Seelen.
Kälte …
Dunkelheit …
Erde …
Und dann eine größere Kälte, und Schnee, der mir bis zu den Knien reichte. Es war Nacht, und ein beinahe voller Mond stand tief über dem eisigen Horizont. Zitternd, schlitternd, fluchend machte ich mich auf den Weg den Hügel hinab auf ein Bauernhaus zu, das nicht viel mehr als eine Hütte war, seine Läden waren in der Winternacht geschlossen. Aber es gab ein schäbiges Hühnerhaus neben der Hütte. Sicher konnte ich dort einbrechen und mir ein Huhn schnappen, ehe die Wilden aus dem Haus stürmten, um mich zu erschießen. Sicher konnte ich…
»Halt«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.
Ich schrie beinahe auf. Eine Frau stand neben mir, die aus dem Schatten des Hühnerhauses getreten war, wo vorher keine Frau gestanden hatte. Sie trug einen glatten weißen Umhang und hatte ein großes Bündel in der Hand.
»Halt, Roger Kilbourne.«
»Was… wer…?«
»Was ich bin, spielt keine Rolle. Was du bist, schon, und du bist ein Verräter.«
»Ein…«
»Ein Verräter, ja. Wie sonst nennt man jene, die dem Feind helfen? Du bist nicht besser als die abtrünnigen Hisafs , die deine Schwester benutzen.«
Ich ging näher, um einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Sie trat nicht zurück, zeigte keine Angst. Unter der Kapuze ihres weißen Umhangs war ihr Gesicht weder jung noch alt, weder hässlich noch hübsch, und ihre Augen waren grün. »Du bist eine der… noch eine von den Frauen aus jenem schattenhaften Netz, von jenen, die die Seelenkünste einsetzen…«
»Ich bin eine Hexe. Weshalb kannst du das Wort nicht benutzen?«, fragte sie ungeduldig, und ich erkannte den Tonfall wieder. Es war Mutter Chiltons Tonfall, Alysses Tonfall, sogar Fias Tonfall– all jener Frauen, die mir vorgeworfen hatten, dass ich nicht das tat, wozu sie mich anhielten.
Ich sagte und vermied dabei absichtlich das Wort Hexe: »Ich bin kein Verräter. Ich brauche nur Nahrung für…«
»Wir wissen, wozu du Nahrung brauchst. Hier.« Sie schob mir das Bündel in die Arme, dann beugte sie sich dicht zu mir. Ihr Atem kam frostig zwischen Lippen hervor, die vor Zorn verkniffen waren.
»Du bist ein Verräter, Roger Kilbourne, ob du es nun weißt oder nicht. Man hat dir gesagt, dass du den Pfad der Seelen nicht wieder betreten darfst, und…«
»Mein, Vater, ein Hisaf, hat gesagt, dass ich…«
»…und doch hast du es nicht nur getan, du hast auch drei aus dem Land der Lebenden mit dir genommen. Glaubst du, dein Vater hat überhaupt geahnt, dass du so etwas tun könntest? Dass er, wenn er es je geahnt hätte, dich nicht ermahnt hätte, es zu unterlassen? Du hast sogar eine mit großem und ungeübtem Talent mitgenommen, und nun…«
»Ich habe versucht, Alysse dazu zu bringen, mir dabei zu helfen, die Prinzessin zu retten, und sie hat gesagt, die Prinzessin spiele keine Rolle!«
»Da haben wir noch nicht gewusst, was Stephanie ist oder wie sie benutzt werden könnte. Aber ich befasse mich mit dir, Roger Kilbourne. Dir hat man gesagt, dass das Seelenrankenmoor das Netz zerstören will, das die Lebenden mit den Toten verknüpft. Man hat es dir gesagt. Doch du hast durch deine rücksichtslosen Taten dem Netz unermesslichen Schaden zugefügt. Drei Lebende hast du in das Land der Toten gebracht, drei, die keine Hisafs sind, wo doch schon eine, die dort geboren wurde, ein solches Chaos möglich gemacht hat! Wie können wir dir verständlich machen, was du getan hast?«
»Die Wilden hätten sie erschossen«, sagte ich, und es klang nach einem trotzigen Jungen, nicht nach einem Mann, der seine Herrscherin und seine Freunde rettete. Diese Frauen, die zum Netz gehörten, machten das immer mit mir– sie stuften
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