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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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hier gab es einen Parque Central, in dem an langen Stielen rotgrüne Mangos von hohen Bäumen herabhingen. Die Einheimischen nannten Alajuela Ciudad de los Mangos, die Stadt der Mangos. Dorothea hatte deren aromatisches, saftiges Fleisch inzwischen schätzen gelernt. Es war höchst einfach, sich die ovalen Früchte zu beschaffen, noch dazu umsonst. Sie brauchte nur vor die Haustür zu treten und sie zu pflücken.
    Karl Reimann setzte Dorothea vor dem Kurzwarenladen gegenüber der Kathedrale ab. »In einer halben Stunde bin ich zurück. Haben Sie noch weitere Besorgungen vor?«
    »Nein, aber lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich warte hier auf Sie.«
    »Bienvenida, Señorita. Womit kann ich Ihnen dienen?« Die Geschäftsinhaberin war eine mittelgroße, temperamentvolle Frau unbestimmten Alters mit großen Ohrringen und unzähligen goldenen Armreifen. Um die Schultern trug sie ein schwarzes Spitzentuch, dessen lange Fransen bei jeder Bewegung mitschwangen. Zwei Frauen saßen auf zierlichen Schilfrohrstühlen an einem Tischchen nahe dem Fenster und musterten Dorothea mit freundlicher Neugierde.
    »Ich suche weißes Nähgarn und einen Kragen … Aber ich bin noch gar nicht an der Reihe.«
    »Ach, wir wollen gar nichts kaufen, wir sind nur hergekommen, um ein Schwätzchen zu halten. Woher kommen Sie eigentlich? Eine Costaricanerin sind Sie jedenfalls nicht, das sieht man an Ihrer hellen Haut und am Haar. Aber sprechen tun Sie wie eine Einheimische«, lobte die ältere der beiden Kundinnen, eine füllige Frau, deren Haare und Schultern von einer schwarzen Mantilla verdeckt wurden, wie es der spanischen Mode entsprach.
    »Ich stamme aus Deutschland und unterrichte die Siedlerkinder in San Martino.«
    »Oh, dann sind Sie die neue Lehrerin …« Die Inhaberin stieß einen leisen Pfiff aus. »Das hätte ich mir fast denken können. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Es macht schnell die Runde, wenn eine junge und hübsche Person in diese Gegend zieht. Nun, da bin ich aber gespannt, wie lange Sie hier noch als Lehrerin arbeiten.«
    Dorothea erschrak. Hatte sich etwa herumgesprochen, dass sie ohne Papiere war und überdies ihre Aufenthaltsgenehmigung bald ablaufen würde? Die beiden anderen Kundinnen kicherten. Aber vielleicht hatte die Bemerkung der Geschäftsfrau auch einen anderen, völlig harmlosen Hintergrund, versuchte Dorothea sich zu beruhigen. Bald waren die vier Frauen in ein angeregtes Gespräch vertieft. Gemeinsam durchsuchten sie den Karton mit den Spitzenkragen, favorisierten erst ein Modell mit Stickerei und abgerundeten Ecken, dann eins mit aufgenähten Perlen und Goldfäden. Zwischendrin wurde viel gelacht, und Dorothea musste die verschiedenen Ausführungen vor einem großen ovalen Ankleidespiegel anlegen, was zu weiteren heiteren Diskussionen führte. Schließlich entschied sie sich für einen einfachen elfenbeinfarbenen Kragen mit Hohlsaumkanten und einem kugelrunden Perlmuttknopf zum Schließen.
    »Es war nett, Sie kennengelernt zu haben, Señorita. Schauen Sie bald wieder mal herein«, hörte Dorothea noch, bevor sich die Ladentür hinter ihr schloss.
    Karl Reimann war noch nirgends mit seinem Einspänner zu sehen. Und so beschloss Dorothea, sich ein wenig in der Stadt umzuschauen. Sie schlenderte durch den Parque Central und entdeckte in einem der Mangobäume ein Wesen, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ein Faultier kletterte mit unendlich langsamen Bewegungen kopfüber an einem Ast herunter. Zwischendurch kam es Dorothea so vor, als sei das Tier mit dem braunen Zottelfell wieder eingeschlafen. Die Menschen, die vorbeiflanierten, hatten den leichtfüßigen Gang der Ticos, den offenen Blick und die unbeschwerte Heiterkeit. Eigenschaften, um die Dorothea die Einheimischen beneidete und die sie in Deutschland kaum je hatte beobachten können.
    Sie überquerte die Avenida Central. Dort warb eine Apotheke mit einer neuartigen Creme, die umgehend gegen müde Füße und schwere Beine helfen sollte. In einer Schreinerei wurden Möbel individuell nach englischem oder französischem Vorbild angefertigt. Die Tür zur Werkstatt stand offen, zwei Männer sangen ein altes Volkslied. Ihre Stimmen waren bis auf die Straße heraus zu hören. Dann blieb Dorothea vor der Auslage eines Schusters stehen, dessen Ladenschild wie ein überdimensionaler Stiefel gestaltet war. Alajuela gefiel ihr, und sie würde sicher bald wieder herkommen. Sobald sie etwas Geld gespart hatte und sich neue Schuhe leisten konnte. Bei den alten wies

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