Das Land zwischen den Meeren
zu treffen. Demnach kennen Sie meinen Bruder und seine Gemeinde Sankt Aposteln von klein auf.«
»Ja, Herr Pfarrer. Ihr Bruder hat mich getauft, gefirmt, und er war auch mein Beichtvater.«
»Die Wege des Herrn sind unergründlich. Aber was hat eine junge Frau wie Sie ausgerechnet nach Costa Rica verschlagen? Noch dazu ganz allein?«
Dorothea erzählte ihm in knappen Worten ihre Geschichte. Auch wenn sie ihre Schwangerschaft und den Streit mit den Eltern ausließ, so hoffte sie doch auf das Verständnis des Kirchenmannes.
»Scheint mir kein Christenmensch zu sein, dieser Kaufmann. Wie könnte man ihm wohl beikommen? Nun, das können wir hier und jetzt nicht klären. Jedenfalls kommen Sie wie gerufen. In einer unserer Nachbargemeinden soll so bald wie möglich für die Kinder der deutschen Aussiedler, die dort Land gepachtet haben, eine Schule eröffnet werden. Leider hat sich bisher niemand für die Stelle gemeldet. Hm, Sie sind allerdings noch recht jung … Trauen Sie sich zu, Lesen, Schreiben, Rechnen und Naturkunde auch vor einer ganzen Klasse zu unterrichten? Selbstverständlich würde man Ihnen eine – wenn auch bescheidene – Unterkunft zur Verfügung stellen.«
Dorothea glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sollte die Lösung ihrer Schwierigkeiten tatsächlich greifbar nahe sein? Womit hatte sie so viel Glück verdient? Doch dann trübte sich ihre Stimmung. »Ja, ich würde liebend gern dort arbeiten. Aber wie sollte das möglich sein? Ohne Empfehlung und ohne Papiere?«
Pfarrer Jakob Lamprecht betrachtete sinnend das Kruzifix auf seinem Schreibtisch, dann richtete er den Blick zur Decke, als suche er dort oben Beistand. »Geben Sie mir einige Tage Zeit, Fräulein Fassbender. Ich kenne mehrere Herren in der Ortsverwaltung, weiß, wie man mit ihnen reden muss. Wie man sie bei der Ehre packt. Was zählen Urkunden, Dokumente, Referenzen? Sie können gefälscht sein, gestohlen werden oder auch verbrennen. Es kommt auf die inneren Werte eines Menschen an. Sie hören schon bald von mir.«
Eine Woche vor Heiligabend kam Johanna Miller aufgeregt mit einem Brief in Dorotheas Zimmer. Er stammte von Pfarrer Jakob Lamprecht und enthielt die Nachricht, Dorothea könne mit Beginn des neuen Jahres an der deutschen Aussiedlerschule im Süden von Alajuela eine Stelle als Lehrerin antreten. Leider könne man vorläufig nur ein Notquartier anbieten. Aber sobald der Bau der Siedlung weiter fortgeschritten sei, werde ihr im neuen Schulgebäude eine Dachwohnung zur Verfügung stehen.
BUCH III
Erwartung
Januar bis März 1850
Meine liebste Elisabeth! Waren das aufregende Wochen! Ach, wie freue ich mich darauf, Dich wieder in die Arme schließen und endlos lange mit Dir reden zu können. So wie auf der Kaiser Ferdinand . Von der hilfsbereiten Johanna Miller hatte ich Dir bereits geschrieben. Ich glaube, sie hätte mich am liebsten noch länger in ihrem hübschen englischen Haus behalten. Aber ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht unnötig lange ausnutzen. Und stell Dir vor – ich habe eine eigene Wohnung! In San Martino, so heißt die neue deutsche Siedlung südlich von Alajuela. Eigentlich ist es nur ein Bretterverschlag mit einem Bett, einer Herdstelle, einem Schrank und einem Schreibtisch mit Stuhl. Diese windschiefen, kahlen Holzwände, in denen ich tun und lassen kann, was ich will, bedeuten mir unendlich viel.
Bei uns in der Hochebene ist es das ganze Jahr über wie im Frühling. Wenn ich vor die Tür trete, bin ich umgeben von Mangobäumen, wilden Kaffeebäumen und Bananenstauden. In der Ferne sehe ich den Vulkan Arenal. Die Bäume wachsen bis zum Gipfel hinauf. Fast jeden Tag steigt weißer Rauch aus dem Gipfel auf. Aber die Einheimischen sagen, es bestehe keine Gefahr für die Menschen und ihre Häuser. Der Vulkan schlafe schon seit Jahrhunderten. In der vergangenen Woche gab es bei uns in der Hochebene ein Erdbeben. Es ereignete sich in der Nacht, und ich wurde wach, als mein Bett wankte. Glücklicherweise war das Beben nur schwach und richtete keine großen Schäden an. Nach wenigen Sekunden war alles vorbei.
Des Morgens werde ich von rot-blauen Papageien geweckt. Hier gibt es auch jede Menge Leguane. Meist liegen sie faul in der Sonne und laufen schnell davon, sobald man sich ihnen nähert. Gestern schaute bei mir ein Kapuzineräffchen zum Fenster herein, als ich gerade am Schreibtisch saß. Was mag sich das Kerlchen wohl gedacht haben, als es mich sah? Leider habe ich erst wenig von diesem Land gesehen.
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