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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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nicht doch nur träumte, dass ein höflicher, blendend aussehender Mann, der weder Ehefrau noch Kinder hatte, ihr eine unvorstellbar große Kaffeeplantage zeigte, die er einmal erben würde.
    Als Antonio Ramirez Duarte sie vor ihrem Zuhause abgesetzt hatte, verbeugte er sich und hauchte ihr einen Luftkuss über die Hand. »Ich danke Ihnen, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben, Señorita Fassbender. Wir haben uns hoffentlich nicht das letzte Mal gesehen.«
    »Auch ich habe zu danken. Auf bald«, hörte Dorothea sich sagen und gestand sich zu ihrer eigenen Überraschung ein, dass diese Worte ehrlich gemeint waren.
    Am übernächsten Tag überbrachte ihr ein Bote ein Paket, das ungefähr hundert Schulhefte sowie mehrere Schachteln mit Schreibfedern enthielt. Von da an bekam Dorothea jeden Tag Post. Antonio schrieb, wie glücklich er sich schätze, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Er sei ihr auf ewig dankbar und werde immer in ihrer Schuld stehen. Und jedem Brief lag eine kleine Überraschung bei, liebevoll in Seidenpapier gehüllt. Einmal war es ein besticktes Taschentuch mit ihren Initialen, dann ein Paar weißer Spitzenhandschuhe oder eine seidene Ansteckblume.
    »Wer war denn dieser unverschämt gut aussehende Mann, der Sie neulich mit seinem Einspänner abgeholt hat?«, fragte Else Reimann augenzwinkernd, als sie nach der Sonntagsandacht nebeneinander zu ihren Hütten zurückkehrten. »Wird sich da wohl etwas anspinnen?«
    Das hatte Dorothea sich mittlerweile auch schon gefragt. Einerseits fühlte sie sich geschmeichelt, anderseits rätselte sie, was hinter diesen Aufmerksamkeiten steckte. Etwa ernste Absichten? Was sie sich allerdings nicht recht vorstellen konnte, denn schließlich war Antonio Ramirez Duarte mit seinem blendenden Aussehen, seinem Charme und noch dazu als künftiger Kaffeebaron sicher einer der begehrtesten Junggesellen des Landes. Zweifellos gefiel ihr seine höfliche Zurückhaltung, die fehlende Aufdringlichkeit, die sie an den anderen Männern so verabscheute. Aber es gab doch sicher unzählige Mädchen und Frauen, die von nichts anderem träumten, als ihr Leben an seiner Seite zu verbringen.
    Welchen Grund also sollte solch ein Mann haben, einer deutschen Zugereisten, einer unbedeutenden kleinen Lehrerin, den Hof zu machen? Dorothea versuchte, sich Antonios Gesicht mit den tiefblauen Augen unter markanten schwarzen Brauen vorzustellen, die Art, den Kopf zu neigen, wenn er mit ihr sprach. Doch es gelang ihr nicht, denn ein anderes Gesicht schob sich aus der Erinnerung dazwischen. Ein Gesicht mit langen, weichen Locken, die immer ein wenig zerzaust wirkten, und Grübchen, die sich beim Lachen neben den Mundwinkeln bildeten.
    Dorothea lächelte Frau Reimann unbestimmt zu. Und dann fragte sie sich bangen Herzens, was geschehen würde, wenn in wenigen Wochen ihre Aufenthaltsgenehmigung ablief. Ihre Zukunft in diesem Land war ungewisser denn je. Mit zitternden Fingern tastete sie nach dem Medaillon am Hals, das die Wärme ihres Körpers gespeichert hatte. Welchen Weg sollte sie künftig beschreiten? Und wo war die Hand, die sie dorthin führte und ihr Halt bot?

April bis Mai 1850
    »Welch herrliche Aussicht! Es verschlägt mir schier den Atem.« Sonnenstrahlen wärmten ihren Körper und drangen tief in ihr Inneres ein. Dorothea stand mit ausgebreiteten Armen da, staunte und konnte sich nicht sattsehen. Ihre Blicke glitten über Täler und unendliche Schluchten, in denen schmale Wasserläufe weiß und schäumend zwischen grauen Felsspalten in scheinbar endlose Tiefen stürzten. Wanderten weiter zu fernen, hohen Berggipfeln. Über dem grünen Land spannte sich ein wolkenlos klarer Himmel. Kriechende Gewächse mit dicht gefüllten roten Blüten säumten den Rand des steinernen Plateaus unter ihren Füßen. Von diesem erhöhten Standpunkt aus erkannte sie, was sie bisher nur geahnt hatte. Dieses Land war noch schöner, noch wilder, noch gewaltiger, als sie es bisher kennengelernt hatte. So musste das Paradies ausgesehen haben.
    Durchdringende Vogelschreie rissen sie aus ihrer Betrachtung. Schwarze Tukane mit kräftigen regenbogenfarbigen Schnäbeln schwebten in fast greifbarer Nähe über die Baumwipfel unter ihr hinweg. In einiger Entfernung hatte ein Adler seine Schwingen ausgebreitet und glitt majestätisch über den Urwald hinweg. Eine grün schillernde Echse schlängelte sich an ihrer Fußspitze vorbei und verschwand unter einer Baumwurzel. In einem gelb blühenden Strauch suchte ein

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