Das Land zwischen den Meeren
eigentlich von zu Hause weggegangen? Und dann auch noch so weit?«, mischte Isabel Duarte y Alvardo sich mit leiser Stimme in die Unterhaltung ein. Bisher hatte sie kein einziges Wort gesagt, nur aufmerksam zugehört.
»Ich habe die kalten Winter in Deutschland nicht vertragen. Sie haben mich krank gemacht.«
»Warum kam Ihre Familie denn nicht mit Ihnen?«
»Diese Frage wollte eigentlich ich der Señorita stellen«, entgegnete der Hausherr, worauf seine Frau die Fingerspitzen auf die Lippen legte und gleichsam um Verzeihung bittend zu ihrem Mann aufschaute.
Dorothea gab eine Antwort, die zwar nicht völlig der Wahrheit, aber doch gänzlich ihren Empfindungen entsprach. »Ich habe keine Eltern mehr. Und ich hatte nie Geschwister.«
Die Gastgeber schwiegen für einen Moment, ihre Mienen zeigten Betroffenheit. Der Hausherr räusperte sich. »Wenn ich fragen darf, welchen Beruf übte Ihr Herr Vater aus?«
»Er war Arzt. Ein Spezialist auf dem Gebiet der Wundheilung.«
Der Hausherr nickte beifällig. »Ich kenne einige hervorragende deutsche Ärzte. Auch was das Ingenieurswesen angeht, wie beispielsweise den Bau von Brücken, Handelsschiffen oder Kaffeeröstmaschinen, haben die Deutschen einen guten Ruf. Wir Costaricaner schätzen sie wegen ihrer Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.«
Das Dienstmädchen brachte frischen Kaffee, füllte mit graziösen Bewegungen die Tassen. Der Hausherr lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die mächtige Hand mit dem Siegelring auf das Tischtuch.
»Sie haben unserem Sohn das Leben gerettet, Señorita. Dafür möchten wir uns gern erkenntlich zeigen. Gibt es irgendeinen Wunsch, den wir Ihnen erfüllen können?«
Dorothea blickte erst Antonio Ramirez, dann seinen Vater fragend an. »Wie soll ich das verstehen, Señor?«
»Vielleicht hegen Sie schon lange einen Wunsch, der jedoch … mein Sohn erzählte mir, dass Sie an einer Siedlerschule unterrichten … nun, der bei dem Einkommen einer Lehrerin … schwierig zu erfüllen ist. Ein Möbelstück, ein Teeservice, ein silbernes Besteck …«
Ich nehme keine Almosen von Fremden! Ich habe alles, was ich brauche, und wenn ich etwas haben will, dann verdiene ich es mir selbst, wollte Dorothea trotzig erwidern. Einzig Antonio Ramirez Duarte schien ihren inneren Aufruhr zu bemerken. Er lächelte ein warmes, herzliches Lächeln, das Dorotheas Herz für den Bruchteil einer Sekunde höher schlagen ließ.
»Bitte, Señorita, bereiten Sie uns die Freude! Sie dürfen nicht ablehnen.«
Dorothea dachte kurz nach und stellte fest, dass sie sich angesichts des Reichtums, der hier allenthalben sichtbar wurde, keine Zurückhaltung auferlegen musste. Ein Strahlen huschte über ihr Gesicht. »Wenn das so ist, dann wünsche ich mir zwanzig Schulhefte und ein Dutzend Schreibfedern.«
Antonio Ramirez lenkte den Einspänner über die schmalen Pfade, die mitten durch die Plantage führten, zeigte Dorothea bis zum Horizont reichende Felder mit Kaffeebäumen, auf denen in regelmäßigen Abständen hohe Korallenbäume wuchsen. Diese schützten die Bäume vor allzu großer Sonneneinstrahlung und sorgten überdies für die notwendige Luftzirkulation zwischen Baumkrone und Strauch, wie er ihr wortreich erklärte.
»Kaffee stammt ursprünglich aus Äthiopien, er kam siebzehnhundertfünfzig nach Costa Rica. Die ersten Plantagen wurden in der Umgebung der früheren Hauptstadt Cartago errichtet. Für den Export nach Südamerika und Europa wird nur erstklassige Qualität verschifft. Aber der beste Kaffee gedeiht hier, in den höheren Lagen an den Rändern des Valle Central. Die Pflanzen wachsen auf fruchtbarer vulkanischer Erde, und nur in dieser Gegend erhalten sie das ideale Maß an Sonne, Wind und Regen.«
Er zeigte ihr die Hütten am Rand der Hacienda, in denen die Pflückerinnen und Pflücker während der zwei- bis dreimonatigen Erntezeit wohnten. Eine sogenannte Aufbereitungsanlage befand sich an einem Wasserlauf, der sich durch die Hacienda schlängelte. In diesem Gebäude wurden die Kerne aus dem Fruchtfleisch der Kaffeekirsche zuerst entfernt, anschließend in großen Bottichen fermentiert und danach für mehrere Tage auf Feldern in der Sonne getrocknet. Anschließend wurden sie in Säcken auf Ochsenkarren in das etwa zwölf Tagesreisen entfernte Puntarenas transportiert und von dort in die Welt verschifft.
Ihr Begleiter sprach schnell und mit glänzenden Augen. Dorothea ließ sich von seiner Begeisterung anstecken. Und sie fragte sich, ob sie
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