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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Schmetterling nach Nektar. Zusammengefaltet erinnerten seine Flügel an verwelkte Blätter. Doch beim Fliegen offenbarte sich eine Farbenpracht, die an irisierendes Email erinnerte. Der Schmetterling schwirrte auf Dorothea zu und ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Breitete die Flügel aus und erinnerte an eine kostbare, edelsteinverzierte Brosche.
    »Als Kind habe ich mir oft gewünscht, ein Vogel zu sein und über den Regenwald und die Berge fliegen zu können. Mir die Welt von oben anzuschauen«, murmelte Antonio Ramirez und erschien Dorothea in diesem Augenblick weich und verletzlich. Ein überaus empfindsamer Mensch, dachte sie bei sich. Ob er wohl eine glückliche Kindheit hatte? Sie zog ihr Skizzenbuch aus der Tasche und begann zu zeichnen. Dabei wendete sie den Kopf so zur Seite, dass der Rand ihrer Schute einen Schatten auf das Papier warf. Schon bald war sie völlig in den Anblick der Natur versunken, in der weder Straßen noch Siedlungen von der Existenz des Menschen zeugten.
    »Wir sind hier nicht weit entfernt von der Wasserscheide«, fuhr ihr Begleiter fort, als Dorothea für einen Moment den Kreidestift absetzte. »Links von uns fließen die Flüsse ins Karibische Meer, rechts zum Pazifischen Ozean.«
    Dorothea nickte, wollte sich in diesem Augenblick nicht von der aufkommenden Erinnerung an ein Kölner Café betrüben lassen, in dem Alexander ihr zum ersten Mal eine Karte dieses Landes gezeigt hatte. »Costa Rica – das Land zwischen den Meeren … Danke, dass Sie mich hierhergeführt haben, Señor Ramirez Duarte.«
    »Sagen Sie, Señorita, stimmt es wirklich, was Sie neulich beim Mittagessen meinen Eltern erzählt haben? Sind Sie tatsächlich nach Costa Rica gekommen, weil es Ihnen in Deutschland zu kalt war?«
    »Ja … dies war zumindest ein Grund. Der andere … jeder Mensch muss seinem Stern folgen …« Antonio Ramirez beobachtete Dorothea, wie sie den Zeichenstift über das Papier führte, zwischendrin immer wieder aufsah und ihr Motiv fixierte. Sein Pferd wieherte leise, harrte aber geduldig im Schatten eines Johannisbrotbaumes aus. Ab und zu schlug es mit dem Schweif, um lästige Fliegen an den Flanken zu verscheuchen.
    Dorothea presste die Lippen aufeinander, mochte keine weiteren Erklärungen abgeben. Auch wenn ihre Antwort denkbar knapp ausgefallen war, so traf sie doch zu. Lieber richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf einen mehr als handtellergroßen Käfer mit gelblich schillerndem Panzer und Auswüchsen an Kopf und Brust, die an Zangen erinnerten. Fasziniert beobachtete sie, wie das Tier an einer Baumrinde entlangkroch und mit den Fühlern den morschen Untergrund abtastete. Hier oben auf der Anhöhe, in der strahlenden Mittagssonne, fühlte Dorothea sich eigenartig frei und eins mit der Natur.
    »Wissen Sie eigentlich, dass Sie die Zungenspitze vorstrecken, wenn Sie sich besonders konzentrieren?«
    Dorothea ließ die Zunge blitzschnell im Mund verschwinden und senkte verlegen den Kopf. »Nein, das habe ich noch nie bemerkt. Bitte entschuldigen Sie.«
    »Ungern. Denn dieser Anblick hat etwas überaus Liebenswertes. Darf ich Sie etwas fragen, Señorita Fassbender, etwas Persönliches?«
    »Ja, aber haben Sie das denn nicht schon getan?«
    »Können Sie sich vorstellen, meine Frau zu werden?«
    Pedro Ramirez Garrido nahm einen tiefen Zug aus seiner handgerollten kubanischen Zigarre. Anzeichen von Überraschung, aber auch Genugtuung zeigten sich auf seinem Gesicht. »Endlich bist du zur Vernunft gekommen, mein Sohn. Es wurde aber auch Zeit.« Zufrieden blähte er die Wangen und blies Rauchkringel in die Luft, sah ihnen hinterher, wie sie zur Decke emporstiegen, dabei zuerst größer und breiter wurden und sich dann verflüchtigten.
    So war also sein Besitz gerettet. Seine Kaffeeplantage, die größte im Land, für die er seit Jahrzehnten hart gearbeitet hatte und deren reiche Erträge immer wieder Neider auf den Plan riefen. Man durfte nicht zimperlich sein in diesem Beruf, musste der Konkurrenz immer um eine Nase voraus sein. Schneller und wendiger sein als die anderen. Und wenn nötig auch die Maßnahmen kennen, mit denen man seine Gegner in die Knie zwang. Während diese überhaupt nicht bemerkten, was hinter ihrem Rücken gespielt wurde.
    Was Pedro allerdings Sorgen bereitete, war die Einsicht, dass Antonio nicht wendig und gerissen genug war, sich nicht auf Ränkespiele verstand. Es war ihm bisher nicht einmal gelungen, ein einziges der jungen Mädchen aus einflussreichen

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