Das Land zwischen den Meeren
sich aus, wie es wäre, wenn sie in einigen Monaten tatsächlich an Alexanders Seite den Urwald durchqueren, einen Berg besteigen oder am Meer entlangspazieren würde. Dieser Gedanke nahm sie so gefangen, dass sie gar nicht wahrnahm, wie seine Hand langsam von ihrem Knie aufwärts wanderte. »Ich kann es kaum erwarten, alles mit eigenen Augen zu sehen … Oh, ist dir das schon aufgefallen? Dieses Land hat zwei Küsten. Am Atlantischen Ozean im Osten und am Pazifischen Ozean im Westen. Costa Rica – das Land zwischen den Meeren.«
»Das hast du wunderschön gesagt, meine Liebste … Im Moment würde es mir übrigens sehr gefallen, wenn meine Hand die Region zwischen diesen beiden bezaubernden Schenkeln erkunden könnte.«
Dorothea errötete und unterdrückte einen Aufschrei. Voller Empörung klopfte sie Alexander unter dem Tisch auf die Finger, die ihre Knie sanft und nachdrücklich umkreisten. »Aufhören! Nimm sofort die Hand weg! Wie kannst du so etwas sagen? Noch dazu in aller Öffentlichkeit. Du nimmst mich einfach nicht ernst.«
»Gnädiges Fräulein, Sie verlieren da gerade eine Haarnadel. Wenn ich Ihnen behilflich sein darf«, verkündete er plötzlich laut und übertrieben höflich. Er schob seinen Stuhl zurück und beugte sich vor, nestelte an Dorotheas Ohr und drückte ihr blitzschnell einen Kuss auf den Mund. Dorothea kniff ihn in den Arm. »Schuft«, raunte sie und ärgerte sich, weil es weder empört noch glaubhaft klang. Sondern zärtlich.
Alexander deutete eine Verbeugung an und nahm wieder Platz. Seine Augen blitzten vergnügt, und er verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Stets der Ihre.«
März 1848
Unschlüssig stand Dorothea vor dem Spiegel und hielt sich probeweise ein dunkelblaues Kleid mit Samtkragen und Perlmuttknöpfen an. Dann griff sie zu einer zartgrünen Kreation, die lediglich mit cremefarbenen Spitzenmanschetten geschmückt war. Jedes der Kleider hatte nach neuester Mode eine enge, betonte Taille sowie einen glockenförmig gebauschten Rock und unterstrich Dorotheas zierliche Figur aufs Vorteilhafteste. Sie trat einige Schritte vor und wieder zurück, konnte sich nicht entscheiden und zog schließlich ein drittes Kleid aus gelbem Taft aus dem Schrank, warf es aber sogleich missmutig aufs Bett.
Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass es gar nicht die Garderobe war, die ihr solches Unbehagen bereitete. Vielmehr verspürte sie nicht die geringste Lust, ihre Eltern zu dem heutigen Liederabend zu begleiten. Weitaus lieber hätte sie sich in den bequemen Korbsessel in ihrem Mädchenzimmer gesetzt und ungestört von ihrer Zukunft mit Alexander geträumt. Seit seinem Antrag im Botanischen Garten schwebte sie wie auf Wolken. Sie liebte und wurde geliebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Ein Gefühl von Wärme durchflutete sie, als sie an den Freund dachte, an seine Grübchen auf den Wangen, die sie so gern küsste, an seine raue Stimme, mit der er so sanft und zärtlich zu ihr sprach.
Ihr Herz klopfte laut, als sie daran dachte, den Geliebten schon bald in ein fremdes Land zu begleiten, über das er ihr mittlerweile weitere spannende Einzelheiten erzählt hatte. Ein Land, in dem sie immer zusammen wären, miteinander lachen und sich jeden Tag aufs Neue ihre Liebe beweisen würden. Sie würden die alte Heimat hinter sich lassen und in der Ferne ihr Glück finden. Alexander hatte vorgeschlagen, sie solle die Illustrationen für sein Buch anfertigen. Er wollte mit seinem Verleger darüber verhandeln. Nie hatte Dorothea sich größer und stolzer gefühlt als in diesem Moment. Und vielleicht würden sie irgendwann eine Familie werden, mit drei oder vier Kindern, nur Jungen, die alle wie Alexander aussähen …
Und doch fühlte sie, dass ein Druck auf ihr lastete. Weil es eine entscheidende Frage gab, für die sie bisher noch keine Antwort gefunden hatte. Und diese Frage lautete: Wann sollte sie ihren Eltern von ihrer Liebe zu Alexander und ihren gemeinsamen Heirats- und Reiseplänen erzählen? Und wie es ihnen erklären? Denn zweifellos würden weder Vater noch Mutter einen Schwiegersohn akzeptieren, der keinen jener angesehenen Berufe ausübte wie etwa Anwalt, Lehrer oder Arzt. Sondern der sein Geld mit der brotlosen Kunst des Schreibens verdiente. Zumindest ihrer Ansicht nach. Hinzu kam, dass Alexander weder aus einem reichen Elternhaus stammte noch die Absicht hatte, ein konventionelles, bürgerliches Leben nach starren, vorgebahnten Regeln zu führen.
Sie musste behutsam
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