Das Land zwischen den Meeren
sich bei Tee und Gebäck gut gehen lassen.
Beim Abendessen herrschte eine seltsam frostige Atmosphäre. Niemand sprach ein Wort. Dorothea blickte fragend zu Antonio hinüber, doch der hob nur stumm die Schultern. Schließlich konnte Pedro sich nicht länger zurückhalten.
»Wie konntest du nur so etwas tun?«, brach die Frage aus ihm heraus.
»Ich weiß nicht, was du meinst, Schwiegervater«, entgegnete Dorothea arglos und knabberte an einem gerösteten Maiskolben.
Pedro rang nach Luft und nahm einen tiefen Schluck Wein. Seine Miene verfinsterte sich. Zornig funkelte er Dorothea an, seine Stimme wurde laut und schneidend. »Unsere Schwiegertochter hat wohl nichts anderes im Sinn, als sich in der Gegend herumkutschieren zu lassen und sich außer Haus zu amüsieren. Mit ihrer Vergnügungssucht riskiert sie das Leben unseres Enkels. Aber das ist ihr offensichtlich gleichgültig.«
Dorothea war sprachlos. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit dem Vorwurf, dem werdenden Kind gegenüber verantwortungslos zu sein. Sie suchte noch nach einer passenden Antwort, als Antonio das Wort ergriff und seinem Vater nicht minder scharf antwortete.
»Es ist allein Dorotheas Sache, wo und wie lange sie mit wem ihre Zeit verbringt. Doch davon ganz abgesehen – ich habe sie sogar ermutigt, unserer Trauzeugin einen Besuch abzustatten. Nach den langen Wochen erzwungener Bettruhe braucht sie dringend ein wenig Abwechslung. Dorothea fühlt sich gesund und stark, und der Arzt hatte ebenfalls keine Bedenken. Vergiss nicht, Vater – Dorothea ist meine Frau, und es ist unser Kind.«
Juli 1851 bis Mai 1852
Je deutlicher Dorotheas Bauch sich rundete, desto wohler fühlte sie sich. Die Vorfreude auf das Kind, das sie schon bald in den Armen wiegen würde, hatte ganz und gar von ihr Besitz ergriffen. Wie ausgelöscht war die Erinnerung an die Mo nate, in denen sie zur Bettruhe verurteilt gewesen war und wi e eine Einsiedlerin hatte leben müssen. Nun hätte ihr Leben nicht schöner sein können. Nach Antonios klaren und entschiedenen Worten übte Pedro sich in Zurückhaltung. Kein einziges vorwurfsvolles Wort kam mehr über seine Lippen.
Isabel hatte eine Hebamme einbestellt, die im Gesindehaus untergebracht war. Damit nicht erst eine Geburtshilfe aus San José geholt werden musste, wenn das Kind sich ankündigte, womöglich mitten in der Nacht. Fidelina war etwa fünfzig Jahre alt, immer gut gelaunt und hatte drei Kinder und zwei Enkelkinder, die an der Karibikküste lebten und ihr ganzer Stolz waren. Jeden Tag kam sie, befühlte Dorotheas Brüste und ihren Leib, nickte und versprühte Zuversicht.
Eines Morgens überraschte Antonio seine Ehefrau mit einem Skizzenblock aus bestem Chinapapier sowie einer Schachtel englischer Aquarellkreide. Zu beiderseitigem Vergnügen saß er ihr auf der Bank unter dem Kalebassenbaum Modell. In immer neuen Varianten bannte Dorothea sein ebenmäßiges Profil auf das Papier, ließ sich von ihm necken, wenn sie beim Zeichnen unbewusst die Zungenspitze vorstreckte. Manchmal hörten sie hoch über ihren Köpfen die Rufe der sich jagenden Kapuzineraffen, die sich auf der Plantage ebenso wohl fühlten wie im angrenzenden Regenwald. Hin und wieder zeigte sich auch ein neugieriges Gürteltier oder ein Waschbär. Tiere, die Dorothea jedes Mal aufs Neue faszinierten. In solchen Momenten vergaß sie sogar das Weiterzeichnen. Seit sie in Costa Rica angekommen war, hatte sie das Leben noch nie als so lebenswert empfunden.
Sie fürchtete, ihr Inneres würde in Stücke gerissen. Schweißgebadet erwachte Dorothea, ihr Herz raste. Sie ballte eine Hand zur Faust und presste sie gegen die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Mit der anderen Hand tastete sie nach ihrem Ehemann, rüttelte ihn an der Schulter. Doch Antonio schlief tief und fest. Erst als sie sich nach Luft ringend aufrichtete und die dünne Zudecke herunterriss, wurde er wach.
»Schnell! Die Hebamme …«, keuchte sie. In Windeseile sprang Antonio auf und zog sich an. Dann entzündete er eine Kerze, trat zu Dorothea ans Bett und strich ihr mit einer Hand über die heiße Stirn.
»Ich beeile mich … bin sofort wieder bei dir«, versprach er stotternd.
»Durst … zu trinken …«, murmelte Dorothea kaum hörbar und presste die Hände auf den Leib, in dem ein Orkan zu toben schien. Antonio füllte ein Glas mit Wasser und hielt es ihr an die Lippen, stützte sie unter den Achseln. Sie nahm einige Schlucke, fuhr sich mit der Zunge über die spröden
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