Das Land zwischen den Meeren
hätte. Zitternd berührte sie mit den Fingerspitzen die zarten, wunderhübsch geformten Brauenbogen, strich über das Näschen. Eine winzig kleine Hand mit winzig kleinen Fingern tastete nach ihrem Daumen. Tränen schossen Dorothea aus den Augen, rannen ihr über die Wangen, und sie ließ sie ungehindert fließen. Es waren Tränen des Glücks und der Dankbarkeit. Ein Wunder war geschehen. Dieses Kind lebte. Es schrie. Und es war ihr Kind.
»Was … was ist es?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Ein Mädchen, Señora Ramirez. Ein kräftiges, gesundes und bildschönes Mädchen. Es hat die schwarzen Haare seines Vaters.«
Dorothea tauchte ab in ein tiefes Dämmern. Als sie erwachte, war es draußen dunkel. Wie lange hatte sie geschlafen? Einen Tag, zwei oder länger? Ihr ganzer Körper fühlte sich bleiern an, doch ihr Herz war leicht.
Jemand stand an ihrem Bett. Mit geschlossenen Augen streckte sie die Hand aus, tastete. Endlich! Antonio! Ihr geliebter Mann war zu ihr gekommen. Sie fühlte etwas Kühles, Metallenes in ihrer Hand und blinzelte. Entdeckte ein Collier mit Smaragden und Diamanten, passend zu dem Armband, das Antonio ihr geschenkt hatte, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte.
Kerzengerade stand Antonio da, knetete die Finger, wirkte verlegen. Bestimmt musste er sich erst an den Gedanken gewöhnen, stolzer Vater zu sein. Doch bald schon würde er seine Tochter auf die Schultern nehmen und mit ihr über die Hacienda toben. Ihr alles über den Kaffeeanbau erklären, sie den süßlichen Geschmack der reifen roten Kirschen mit der Zunge kosten lassen, Schmetterlinge beobachten, die Füße im Bach kühlen. Und sie, Dorothea, würde die beiden zeichnen.
»Hast du die Kleine schon gesehen?«
Antonio nickte wortlos. Streichelte ihren Arm und schluckte. »Wie geht es dir? War … war es sehr schwer?«
»Ich … ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern … Welchen Tag haben wir heute? Und wie spät ist es?«
»Der vierzehnte August. Es ist acht Uhr abends. Das Kind kam heute Morgen kurz nach zehn Uhr.«
Dorothea hob die Hand, betrachtete die wunderschön gefassten, funkelnden Steine und sandte Antonio mit den Augen einen stummen, innigen Dank. »Die Hebamme sagt, die Kleine hat deine Haare.«
»Das habe ich noch gar nicht bemerkt. Sie trug ein Mützchen, als man sie mir zeigte.«
Dorothea lächelte, zog Antonios Hand an die Lippen und rieb sie an ihrer Wange. »Ich bin so glücklich … Und, wie gefällt dir unsere Tochter?«
»Ich habe sie mir nicht so runzelig vorgestellt … Aber sie ist bildhübsch, natürlich. Möchtest du etwas trinken?«
»Nein, ich bin zu müde. Haben deine Eltern das Kind schon gesehen?«
»Ich habe ihnen erzählt, dass wir eine Tochter haben. Sie lassen dich übrigens herzlich grüßen.«
Antonios Gesicht verschwamm vor ihren Augen. Bevor sie sich in den Schlaf zurückgleiten ließ, stieg eine Ahnung in ihr auf, warum Pedro und Isabel sie noch nicht aufgesucht hatten. Sie hatten auf einen Jungen gehofft.
Das Kind schlief viel und weinte nur, wenn es Hunger hatte. Dorothea sah dann zu, wie die Kleine an der Brust der Amme lag und irgendwann, wenn sie sich satt getrunken hatte, die Ärmchen sinken ließ. Marta, die Schwester der Köchin, war eine rundliche kleine Frau von Mitte dreißig. Sie hatte eine breite Zahnlücke, vier Kinder und einen Mann, der, wie sie freimütig erzählte, die Arbeit nicht erfunden hatte. Weswegen sie die Familie allein durchbringen musste.
Dorothea fühlte einen Stich im Herzen, wenn sie sah, wie Marta das Kind stillte. Es war ein Bild voller Innigkeit und Vertrauen, und sie selbst blieb von diesem Geschehen ausgeschlossen. Wie gern hätte sie das kleine Bündel selbst an die Brust gelegt, die voller Milch war und schmerzhaft spannte. Doch so etwas gehörte sich nicht für eine Dame der Gesellschaft, Stillen war etwas für Dienstboten oder Frauen von Bauern und Fischern. Irgendwann würde ihre Milch ungenutzt versiegen, während die Amme noch für viele Monate ein Lebensquell wäre. Dann weinte Dorothea heimliche Tränen der Traurigkeit und der Eifersucht.
Nachts blieb das Kind bei Marta, damit die jungen Eltern ungestört waren. Tagsüber holte Dorothea die Kleine in ihr Schlafzimmer. Dann saß sie an der Wiege und betrachtete das hübsche Gesicht, das schon nach wenigen Tagen glatt und rosig geworden war. Konnte sich nicht sattsehen an den feinen gebogenen Wimpern, dem Leberfleckpünktchen auf der linken Wange, den
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