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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Händchen mit den vollkommenen Fingernägeln. So musste früher auch einmal ihre Mutter an der Wiege gesessen haben. Wie war es nur möglich, dass sie dann niemals zärtliche Gefühle für ihre Tochter aufbringen konnte? Und sie hatte sogar zugelassen, dass diese Tochter, ihr eigen Fleisch und Blut, aus dem Elternhaus fliehen musste.
    Dorothea hauchte unzählige Küsse auf Kinn, Wangen und Stirn des Kindes, sog seinen Geruch ein, eine Mischung aus Milch und Kernseife. Und sie fertigte zahlreiche Zeichnungen an, füllte Seite um Seite in ihrem Skizzenbuch. Manchmal konnte sie kaum glauben, dass dieses Kind ihre Tochter war. Dieses kleine Wesen war so vollkommen, so überwältigend und rein, dass es fast schmerzte. Niemals, schwor sich Dorothea, wollte sie zulassen, dass das Band zwischen ihr und ihrer Tochter zerriss.
    Sie nahm wieder an den gemeinsamen Mahlzeiten der Familie teil. Neben dem Kauf neuer Ochsenkarren und der Renovierung von Pedros Kontor war auch die bevorstehende Taufe ein Gesprächsthema. Bei einem Jungen und künftigen Erben hätten die Schwiegereltern eine größere Feier geplant. So aber wollten sie die Taufe im engsten Familienkreis begehen. Und zwar auf der Hacienda, damit Pedro seinen Fuß in keine Kirche setzen musste. Neben Elisabeth würde Antonios Schulfreund José Maria, der schon Trauzeuge gewesen war, die Aufgaben eines Paten übernehmen.
    Das Kind sollte den Namen Olivia erhalten. Nach der Zwillingsschwester Isabels, die fünf Tage nach der Geburt gestorben war. Dorothea hatte noch keinen Mädchennamen gefunden, der sowohl im Deutschen als auch im Spanischen gut auszusprechen war und ihr überdies gefallen hätte. So war sie über den Vorschlag erleichtert und zeigte sich sofort einverstanden. Auch weil sie hoffte, durch diese Geste die Schwiegereltern nachsichtig zu stimmen, denen die Enttäuschung, keinen Enkel bekommen zu haben, ins Gesicht geschrieben stand.
    »Wir als Großeltern hatten uns sehr auf einen Stammhalter gefreut. Schließlich geht es um die Zukunft unserer Plantage«, gab Pedro unumwunden zu. »Aber Olivia wird ganz gewiss nicht unser einziges Enkelkind bleiben«, fügte er bedeutungsvoll hinzu.
    Als Termin für die Tauffeier wurde der 22. November festgelegt, wenn es auf der Hacienda noch ruhig zuging, bevor wenige Tage später Heerscharen von Kaffeepflückern anrücken würden, um mit der Ernte zu beginnen.
    Eines Morgens stellte Dorothea erschrocken fest, dass sich Olivias Köpfchen heiß anfühlte. Die Kleine schlief unruhig und wimmerte leise vor sich hin. Sofort rief die besorgte Mutter nach der Amme.
    »Nur ein leichtes Fieber, Señora Ramirez. Das kann morgen oder übermorgen schon wieder vorbei sein«, versuchte Marta, sie zu beruhigen.
    Doch Dorothea ließ sich nicht beruhigen. Sie schickte nach Doktor Medina Cardenas, der das Kind untersuchte. »Kein Grund zur Beunruhigung. Nur ein leichter Fieberschub. Legen Sie der Kleinen kalte Waden- und Armwickel an. In spätestens zwei Tagen ist sie über den Berg.«
    Aufgeregt berichtete Dorothea ihrem Ehemann vom Besuch des Doktors. »Ich kann kein Auge zutun, wenn Olivia bei der Amme schläft. Solange die Kleine krank ist, möchte ich die Wiege in unserem Schlafzimmer haben, direkt neben dem Bett. Ich werde ihr selbst die feuchten Umschläge anlegen und sie Marta nur dann überlassen, wenn sie gestillt werden muss.«
    Antonio schüttelte den Kopf, rieb sich mit der Hand über das Kinn. »Hm, ich weiß nicht …« Doch dann blitzte etwas in seinen Augen auf. Er lächelte ein wenig unsicher. »Ich glaube, du hast recht. Sicher ist es das Beste für unser Kind.«
    Dorothea war dankbar, dass Antonio so schnell zustimmte. Allerdings wollte sie ihm nicht zumuten, ihretwegen seine Nachtruhe zu opfern. »Würde es dich stören, für kurze Zeit im Gästezimmer zu schlafen? Damit wir dich nicht stören«, schlug sie vor.
    Antonios Unterlippe zitterte. Er senkte den Blick, schien ihr ausweichen zu wollen. Dann ergriff er ihre Hände und drückte sie sanft. »Du denkst wirklich an alles. Wenn ich nämlich nicht genügend Schlaf bekomme, werde ich unleidlich und kann nicht konzentriert arbeiten. Ich lasse mir das Zimmer nebenan herrichten. Dann bin ich trotzdem immer noch ganz nahe bei dir. Du bist eine wundervolle Frau, Dorothea. Ich liebe dich.« Er umarmte sie, küsste sie auf Stirn und Haar. Als ihm Dorothea die Arme um den Hals schlang und sich sehnsuchtsvoll an ihn presste, küsste er ihren Mund, dankbar und innig.
    Nach

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