Das Land zwischen den Meeren
so viel entdecken. In Österreich musste ich immer die anständige, fügsame Tochter sein und fühlte mich eingeengt wie in einem zu engen Korsett. Hier bin ich frei und kann ich selbst sein. Ich habe noch keine konkreten Pläne für die Zukunft. Vielleicht eröffne ich irgendwann doch noch ein kleines Hotel oder eine Pension. Ich lasse alles auf mich zukommen.«
Spielerisch stieß sie Dorothea in die Seite, erinnerte kichernd an den Obersteuermann der Kaiser Ferdinand und wie er sich ins Zeug gelegt hatte, sie beide mit seinen Schauergeschichten zu beeindrucken. Elisabeth war bald in ihre Erinnerungen vertieft und plauderte scherzend weiter. Dorothea überlegte, ob sie die Freundin fragen sollte, wie sie Antonios Benehmen einschätzte. Sie hätte so gern ihr Herz ausgeschüttet, gestanden, dass sie einen Mann geheiratet hatte, der zwar durchaus fürsorglich und liebevoll war, von dem sie sich aber mehr Leidenschaft und Glut gewünscht hätte. Aber dann wagte sie das Thema doch nicht anzuschneiden, nachdem Elisabeth so ausgelassener Stimmung war und ringsum alles großartig fand.
Nie würde sie die Zeremonie vergessen, als Antonio seine Tochter über das Taufbecken hielt. In diesem Augenblick fiel das Sonnenlicht durch die Fenster des Salons auf sein Gesicht. Es leuchtete wie von einem Heiligenschein umgeben. Sie las darin tief empfundenes Glück und grenzenlose Liebe. Dieser Anblick berührte ihre Seele, und alle Zweifel waren zerstreut. Ganz fest prägte sie sich diese Szene ein, um sie niemals im Leben zu vergessen. Olivia trug ein Taufkleid mit Seidenbändern und Stickerei, das schon Isabel bei ihrer Taufe getragen hatte. Die Kleine hatte während der ganzen Zeremonie geschlafen. Erst als der Pfarrer ihr Wasser über das Köpfchen goss, wachte sie auf und begann lautstark zu schreien.
Die kleine Taufgesellschaft verlor sich geradezu in dem großen Salon, in dem anderthalb Jahre zuvor mit einer Vielzahl von Gästen die Hochzeit stattgefunden hatte. Der Pfarrer war jener, der auch die Trauung vorgenommen hatte.
»Und so taufe ich dich auf den Namen Olivia. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Herr, gütiger Gott, begleite dieses Kind auf allen seinen Wegen, bewahre es vor Schaden und Gefahr und schenke ihm Freude am Leben und Ehrfurcht vor deiner Schöpfung.«
Nach der Taufzeremonie zog die Gesellschaft in den Garten um, wo der Tisch bereits festlich gedeckt war. Es gab Olla de Carne, eine kräftige Fleischbrühe, Salat und Huhn mit gebratenen Kochbananen, Maniok sowie mit Koriander und Limonen gewürzte Mohrrüben. Und zum Nachtisch Törtchen mit kandierter Ananas. Man stieß mit hochprozentigen Getränken auf die Hauptperson Olivia an, die mittlerweile von ihrer Amme abgeholt worden war und vermutlich bereits satt und in süßem Schlummer in ihrer Wiege lag.
Nach dem Kaffee verabschiedete Isabel sich von den Gästen, weil sie plötzlich Kopfweh überkam. Pedro versuchte, Elisabeth von der Überlegenheit der europäischen Völker gegenüber den costaricanischen Ureinwohnern zu überzeugen.
»Verzeihen Sie, lieber Don Pedro, aber ist das nicht ein Thema, über das am besten Männer miteinander streiten?«
An Elisabeths Augenaufschlag erkannte Dorothea, dass die Freundin Pedros Ansichten keineswegs teilte, jedoch im Augenblick wenig Lust verspürte, sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen. Weitaus mehr nämlich erregte Juan Maria ihre Aufmerksamkeit, Antonios hoch gewachsener, schlaksiger Schulfreund und Olivias zweiter Taufpate. Bald waren beide in ein angeregtes Gespräch vertieft, über dessen Inhalt Dorothea nur rätseln konnte. Die beiden scherzten und lachten miteinander und wirkten sehr vertraut, obwohl sie sich erst kurz zuvor kennengelernt hatten. Wieder einmal beneidete Dorothea die Freundin um ihre ungezwungene Leichtigkeit und um die Fähigkeit, ihre Gesprächspartner um den Finger zu wickeln und für sich einzunehmen. Während sie selbst alles oft so schwernahm.
Ein heftiger Regenguss ging nieder, begleitet von einem Gewitter, wie es in dieser Jahreszeit selten war. Die Gesellschaft flüchtete sich auf die Veranda. Dorothea suchte nach Antonios Hand, und gemeinsam beobachteten sie das Naturschauspiel von ihrem sicheren und trockenen Platz aus. In diesem Augenblick hätte Dorothea etwas darum gegeben, hinter die Stirn ihres Ehemannes schauen und seine Gedanken lesen zu können.
Schon am Tag nach der Tauffeier reiste Elisabeth wieder ab. Sie wollten ihren Freund, den
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