Das Land zwischen den Meeren
zwei Tagen war Olivia genesen, ganz so, wie der Arzt und die Amme es vorhergesagt hatten. Obwohl Dorothea zutiefst erleichtert war, wachte sie drei weitere Nächte über den Schlaf der kleinen Tochter. Dann überließ sie sie wieder Martas Obhut. Antonio logierte weiterhin im Gästezimmer. Eine Woche, zwei Wochen … Noch immer kehrte er nicht ins eheliche Schlafzimmer zurück. Argwöhnisch beobachtete Dorothea ihren Ehemann, versuchte, den Grund für sein Verhalten herauszufinden. Doch sie wagte nicht, ihn auf das Thema anzusprechen. Wollte ihm den Vortritt lassen.
Eines Morgens nahm Antonio sie überraschend in die Arme, küsste sie zärtlich und strich ihr über das Haar. »Seitdem du Mutter bist, siehst du noch schöner aus, Dorothea. Ich bin stolz auf dich – und auf unsere Tochter.«
Ein Kloß steckte ihr im Hals, sie schluckte und räusperte sich, doch er löste sich nicht und machte ihr das Atmen schwer. »Olivia schläft nachts wieder bei der Amme. Du musst nicht länger im Gästezimmer bleiben …«, begann sie vorsichtig.
Antonio verschloss ihr den Mund mit einem innigen Kuss. »Ich weiß … aber Vater zu sein ist gar nicht so einfach. Man hat plötzlich eine große Verantwortung. Seit Olivia auf der Welt ist, schlafe ich nicht mehr so tief wie früher. Oft werde ich nachts wach. Dann stehe ich auf, trinke etwas und lese in einem Buch. Irgendwann werde ich müde und schlafe wieder ein. Wenn ich aber in unser Zimmer zurückkäme, hätte ich Sorge, dass ich dich durch den Lichtschein wecke und wir beide die ganze Nacht wach bleiben.«
»Das heißt … du wirst nicht …« Seine Worte waren wie Stiche in ihre Seele. Sie fühlte sich plötzlich machtlos und klein.
»Ich halte es für besser, wenn ich noch eine Weile im Gästezimmer logiere. Nur so lange, bis ich meine innere Ruhe wiedergefunden habe.«
»Jesusmariaundjosef … welch grandiose Aussicht! Dieses prachtvolle Herrenhaus, die vielen Bediensteten … und dann die riesengroße Plantage. Man erkennt ja gar nicht, wo euer Land aufhört.«
Elisabeth war auf der Anhöhe unter dem Kalebassenbaum stehen geblieben und blickte mit ausgebreiteten Armen über die weiten Felder mit den Kaffeesträuchern. An den sattgrünen Zweigen saßen dicke Kirschen, deren Rot weithin leuchtete. »Du bist wirklich im Paradies gelandet, Dorothea. Wie freue ich mich für dich!«
Die beiden Freundinnen hakten sich unter und setzten ihren Rundgang über die Hacienda fort. Elisabeth trug ein Kleid aus dünnem schwarzem Musselin mit einer breiten Schärpe. Dazu den unerlässlichen roten Hut, der aus feinstem rotem Panamastroh geflochten war. Ein schwarzseidener Falter zierte die Krempe. Elisabeth sah hinreißend aus, fröhlich und unternehmungslustig. Die Sonne Costa Ricas hatte ihren Teint zart gebräunt, wodurch sie in Dorotheas Augen noch bezaubernder wirkte. Vermutlich waren auch die Männer, die ihr begegneten, hingerissen von ihrer Ausstrahlung. Elisabeth liebte es, sich im Freien aufzuhalten, und pflegte keineswegs mit einem Sonnenschirm herumzuspazieren wie die Engländerinnen, die in Costa Rica lebten. Schon von Weitem waren diese blassen Damen an ihrer Gesichtsfarbe zu erkennen, die sie mit weißem Puder noch zusätzlich betonten.
»Ach, ich freu mich so! Endlich sehen wir uns wieder und können miteinander ratschen. Wie gern wäre ich schon zu deiner Hochzeit gekommen, aber dann kam dieses blöde Fieber dazwischen … Ich muss dich zu deiner Wahl ausdrücklich beglückwünschen, Dorothea. Dein Mann sieht umwerfend aus. Und charmant ist er außerdem. Erfrischend anders als diese Chauvinisten, von denen ich in Costa Rica schon eine ganze Reihe kennengelernt habe. Sie halten sich für die Größten, und ihre Frauen müssen tun, was sie ihnen sagen. Ihr beide seid gewiss sehr glücklich.«
Dorothea nickte, aber in ihrem Innern verspürte sie einen schmerzhaften Krampf. Sie lud die Freundin ein, sich auf einem Felsen am Wasserlauf niederzulassen. »Hier sitzen wir gemütlich. Aber jetzt musst du mir von dir erzählen.«
Elisabeth zog die Schuhe aus, rollte die Seidenstrümpfe hinunter und steckte die Füße ins kühle Wasser. »Ah, das tut gut … Nun, was soll ich dir erzählen? Zurzeit genieße ich einfach nur mein Leben. Ich begleite Diego auf seinen Reisen und lasse mir von ihm den Hof machen, treffe bemerkenswerte Leute, habe bereits Begegnungen mit Panthern, Krokodilen, Affen und Tapiren gemacht. Dieses Land ist unglaublich aufregend, und ich möchte noch
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