Das Land zwischen den Meeren
reisefreudigen Arzt Diego, auf einer Erkundungstour durch den Nebelwald von Monteverde begleiten, der nördlich von Puntarenas lag, und musste für die Expedition noch ihre Koffer packen. Es fiel Dorothea nicht leicht, die Freundin nach so kurzer Zeit wieder ziehen zu lassen.
»Ach, Elisabeth, wie schade, dass du schon wieder fährst. Wir hätten noch so viel zu erzählen gehabt …«
»Beim nächsten Besuch bringe ich mehr Zeit mit. Versprochen.« Elisabeth küsste Dorothea auf beide Wangen. Dann hielt sie unvermittelt inne, schob die Freundin ein Stück von sich fort und blinzelte sie aus schmalen Augen an. »Sag einmal, meine Liebe, bist du eigentlich wirklich glücklich?«
»Aber natürlich! Wie kommst du darauf?«
»Ich frage nur, weil … manchmal habe ich das Gefühl, deine Augen sprechen eine andere Sprache als dein Mund.«
Dorothea schluckte alles hinunter, was sie insgeheim bedrückte, und schüttelte heftig den Kopf. Elisabeth war bereits im Aufbruch, und mit wenigen Worten hätte sie ihre Situation nicht erklären können. Und warum sollte sie die Freundin mit Gefühlen belasten, über die sie sich selbst noch nicht im Klaren war? »Aber nein. Ich bin sogar sehr glücklich.«
Doch Elisabeth schien dieses Bekenntnis nicht so recht zu überzeugen, ihr Blick blieb zweifelnd. Dorothea suchte nach Worten der Beschwichtigung. Wählte schließlich eine Formulierung, die sie so ähnlich selbst schon einmal gehört hatte.
»Weißt du, ich muss mich an meine Rolle als Mutter erst gewöhnen. Das ganze bisherige Leben wird von einer Sekunde auf die andere völlig auf den Kopf gestellt. Man spürt eine riesige Verantwortung.«
Elisabeth drückte Dorothea einen Kuss auf die Wange. »Entschuldige, du hast natürlich recht. Du bist Mutter, und als solche wird man schließlich nicht geboren. Aber du wirst deine Aufgabe großartig meistern. Irgendwann möchte ich auch ein Kind haben. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Doch wer weiß, was das Schicksal noch mit mir vorhat? Ich muss los. Der Führer wartet schon mit den Mulis. Servus, meine Liebe, und halt dich wacker.«
Die beiden Frauen umarmten sich. Jede zog ein Tüchlein aus der Rocktasche und tupfte sich über die Augen. Und dann stieg Elisabeth auf ihr Maultier, das gemächlich lostrottete. Sie wandte sich noch einmal um und winkte.
»Gib meinem Patenkind ein dickes Busserl von mir. Und schreib mir, wie die Kleine sich entwickelt.«
Dorothea blieb so lange am schmiedeeisernen Eingangstor zur Hacienda stehen, bis Elisabeth aus ihrem Blickfeld entschwunden war. Dann trocknete sie die letzten Abschiedstränen und kehrte über den gewundenen Kiesweg, der von Hibiskussträuchern gesäumt war, ins Haus zurück. Auf Zehenspitzen schlich sie in ihr Schlafzimmer, wo Olivia friedlich schlafend in ihrer Wiege lag. Ganz vorsichtig beugte sie sich über das Kind und hauchte zahllose Küsse auf das winzige, warme Gesicht. Musste plötzlich daran denken, wie es sich wohl angefühlt hätte, wenn der Vater des Kindes ein anderer gewesen wäre – Alexander.
Sie fühlte einen Stich in der Herzgegend und drängte den Gedanken rasch beiseite. Um sich abzulenken, holte sie ihr Skizzenbuch hervor und zeichnete die süß schlummernde Tochter, die sie so sehr liebte, dass sie innerlich manchmal zu zerreißen glaubte. Olivia wollte sie die beste Mutter der Welt sein. Und ihrem Mann die beste aller Ehefrauen.
Jeder Tag versetzte Dorothea in neuerliches Erstaunen und Entzücken. Sie konnte dem Schicksal gar nicht oft genug danken, ein gesundes und fröhliches Kind bekommen zu haben. Olivia entwickelte sich prächtig, bekam die ersten Zähne, brabbelte und lernte zu krabbeln. Antonio tat seine Arbeit und fand nur wenig Zeit für seine kleine Familie, weswegen er Dorothea in der Erziehung freie Hand ließ. »Ich bin so stolz auf meine beiden Mädchen«, sagte er häufig und überraschte sie mit kleinen oder großen Geschenken. Er wirkte zufrieden und wunschlos glücklich mit seiner Rolle als Ehemann und Vater.
Noch immer schlief er im Gästezimmer. Wenn Dorothea ihn fragte, wann er wieder in das eheliche Schlafzimmer einziehen werde, fand er stets Gründe, weswegen er an der bestehenden Situation festhielt. Ja, es schien Dorothea, als vermeide Antonio bewusst jede innige Nähe zu seiner Gattin. Offensichtlich war er der Ansicht, mit der Zeugung eines Kindes seine Pflicht erfüllt zu haben. Einmal hörte Dorothea, wie zwei Dienstmädchen, die die Zimmer im Westflügel
Weitere Kostenlose Bücher