Das Land zwischen den Meeren
säuberten, miteinander tuschelten.
»Aber sicher, er schläft schon seit Monaten im Gästezimmer. Jeden Morgen mache ich sein Bett.«
»Merkwürdig«, war eine andere Flüsterstimme zu hören, »immer wenn ich die beiden sehe, kommen sie mir vor wie Turteltauben.«
Irgendwann beschlich Dorothea der bange Gedanke, Antonio könne eine andere lieben. Allerdings – hatte er nicht über viele Jahre genügend Gelegenheiten gehabt, eine andere Frau zu heiraten? Warum also hatte er sich im Alter von fünfunddreißig Jahren ausgerechnet für sie entschieden, eine mittellose Ausländerin – wenn nicht aus wahrer Liebe? Der anonyme Brief fiel ihr ein, der ihr aus dem Hochzeitskleid gefallen war und den Antonio so selbstsicher und mit einem Lächeln zerrissen hatte.
Sie wurde immer misstrauischer, schnupperte, wenn sie ihn umarmte, ob ein fremdes Parfum an seiner Kleidung haftete. Eines Morgens, als sie es nicht mehr aushielt, wollte sie sich Gewissheit verschaffen. Nachdem Antonio in sein Kontor gegangen war, schlich sie sich in sein Schlafzimmer. Durchsuchte die Taschen seiner Jacken, sogar seine Schreibtischschublade. Doch sie fand keinen einzigen Hinweis, dass er sie womöglich betrog. Sie schämte sich zutiefst, denn sie hatte ihren Mann zu Unrecht verdächtigt.
Als sie gerade wieder aus dem Zimmer schlüpfen wollte, hörte sie draußen auf dem Flur Schritte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das konnte nur eins der Mädchen sein, die die Zimmer sauber machten. Und das sie im nächsten Augenblick als Schnüfflerin entlarven würde. Fliehen war unmöglich, denn es gab keine zweite Tür und auch keinen Balkon. Mit einem raschen Sprung war Dorothea am Fenster und verkroch sich hinter dem schweren, bodenlangen Samtvorhang, machte sich so klein und schmal wie möglich. Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, wie jemand leise vor sich hinsummte und dabei geschäftig hin und her lief, das Kopfkissen ausschüttelte und den Boden wischte. Dann wurde die Tür wieder geschlossen, und Dorothea konnte endlich tief durchatmen. Sie wartete noch eine Weile, dann schlich sie unbemerkt in ihr Zimmer zurück.
Sie trat vor den hohen Ankleidespiegel und sah eine magere Frau, hohlwangig und mit blasser Haut, der selbst der häufige Aufenthalt im Freien kaum Farbe ins Gesicht gezaubert hatte. Sie war anders als die costaricanischen Frauen. Sie war hässlich, langweilig und reizlos. Und obendrein eine schlechte Ehefrau. Das Gewissen plagte sie, weil es ihr nicht gelang, Antonio mit Leib und Seele für sich zu gewinnen. Seit der Heirat zog er sich immer mehr zurück. Wie sollte sie je seine Seele berühren? War sie ihm überhaupt jemals nahe gewesen, oder hatte sie sich alles nur eingebildet? Weil sie sich danach sehnte. Weil sie vergessen wollte und nichts so sehr begehrte, als in diesem Land anzukommen und glücklich zu sein.
Doch wem sollte sie ihr Herz ausschütten? Wem gestehen, dass ihr Mann sie nicht begehrte, sondern in ihr ein geschlechtsloses Wesen sah? Pfarrer Lamprecht ganz sicher nicht, und mit der so viel älteren Johanna Miller mochte sie derartig delikate Themen nicht besprechen. Blieb nur Elisabeth, der sie sich schon anlässlich Olivias Taufe hatte offenbaren wollen. Allerdings war es die Freundin gewesen, die ihr zur Hochzeit mit Antonio geraten hatte. Elisabeth hatte einen scharfen Verstand, war unsentimental und pragmatisch. Folglich konnte es auch nicht Antonios Schuld sein, wenn sie sich nicht glücklich fühlte, es musste ausschließlich an ihr liegen.
Aber war nicht Olivia das größte und beste Geschenk, das ihr je gemacht worden war? Womöglich war dies die Herausforderung ihres Lebens. Ihrer wunderbaren Tochter alles zu geben, sie zu behüten und zu lieben, so wie sie es sich selbst als Kind immer gewünscht hatte. Dieser Aufgabe wollte sie sich ab sofort widmen. Mit ihrer ganzen Kraft.
BUCH IV
Widerstreit
Februar 1855
»Bleib bei Livi, Mama!«
»Olivia, meine Süße, es ist schon spät. Und ich muss hinunter zum Essen. Alle warten auf mich.« Dorothea kniete vor dem Kinderbett nieder, strich der Tochter eine Strähne aus dem Gesicht und küsste sie auf den Scheitel. In letzter Zeit versuchte die Kleine, das Zubettgehen immer weiter hinauszuzögern.
»Livi will nicht, dass Mama geht.«
»Olivia will nicht … Erstens heißt es: Olivia möchte nicht. Und außerdem weißt du, dass Großvater böse wird, wenn Mama unpünktlich ist.«
»Livi hat Angst.« Die Kleine richtete sich an den Gitterstäben auf
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