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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Entlastung der schwer gebeutelten Arbeiter und Bauern forderten.
    In einem weiteren Artikel wurde das Schicksal eines Viehzüchters aus Boppard geschildert, der nach drei Jahren Missernte sein Vieh nicht mehr füttern konnte und notschlachten musste. Die Familie mit fünf Kindern hatte ihren Hof verloren und mit ihm ihre Existenzgrundlage. Als ihnen das Armenhaus drohte, lieh der Bauer sich bei einem Vetter Geld und stellte für seine Familie einen Ausreiseantrag nach Amerika. Lieber wollte er in der Fremde ganz von vorn anfangen und dort sein Glück versuchen, als in Deutschland zu verhungern.
    Blutiger Mittwoch in Berlin. Tote und Verletzte bei einer Straßenschlacht, lautete eine Überschrift, die Dorothea ein Stirnrunzeln entlockte. Sie blätterte schnell die Seite um und wandte sich den Anzeigen über die neueste Hutmode und französische Seifenwaren zu. Aber dann spürte sie, wie Unruhe sie erfasste und ihr Herz schneller schlug. Schließlich blätterte sie zurück, und es schien ihr, als zwinge eine unsichtbare Macht sie zum Weiterlesen.
    Die Ausschreitungen revolutionärer Gesinnungsgenossen haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Gegen Mittag zog eine Horde von Arbeitern am Rathaus vorbei und verteilte Flugblätter, auf denen sie die Gleichheit aller Bürger forderten sowie das Recht auf Bildung und Redefreiheit.
    Sie erinnerte sich, wie Alexander mit dem Wirt aus dem Lokal im Botanischen Garten über dieses Thema diskutiert hatte.Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie, am liebsten hätte sie die Zeitung beiseitegelegt. Stattdessen starrte sie auf die Zeilen, las Buchstaben für Buchstaben und verstand doch kein Wort. Lautlos formten ihre Lippen die Sätze, und das Blut schoss ihr in den Kopf.
    Als die Polizei die Demonstrierenden auseinandertreiben wollte, kam es zu einem Handgemenge, das in einer Schießerei endete. Acht Personen wurden verletzt, drei getötet. Unter den beklagenswerten Opfern soll auch ein junger auswärtiger Zeitungsredakteur gewesen sein.
    Immer wieder las Dorothea den Artikel, wollte nicht glauben, was dort schwarz auf weiß stand. Die Buchstaben verschwammen ihr vor den Augen, die sich mit Tränen füllten. Seit zwei Tagen hatte sie keinen Brief mehr von ihrem Liebsten erhalten … Angst erfasste sie. Dann aber zwang sie sich zur Ruhe. Bestimmt machte sie sich unnötige Gedanken. Schließlich arbeiteten viele Redakteure aus den verschiedensten Städten in Berlin. Und außerdem gab es bei der Postzustellung des Öfteren Verspätungen. Ganz sicher war Alexander bereits auf dem Rückweg nach Köln, im Gepäck den Vertrag sowie eine großzügige Anzahlung.
    Sehr bald schon würde er sie in die Arme schließen, ihr gestehen, wie sehr er sie vermisst hatte, und mit sanften, zärtlichen Fingern unter ihrem Kleid nach dem Granatmedaillon suchen, und sie würden innige Stunden voller Glück erleben. Dann endlich würden sie ihre Habseligkeiten packen, nach Hamburg fahren und von dort aufs weite Meer hinaussegeln. Der Kapitän würde sie an Bord trauen, sie würden am anderen Ende der Welt als Eheleute an Land gehen, und ihr gemeinsames Leben würde beginnen …
    Mit entschlossenem Griff faltete sie die Zeitung zusammen und ging auf ihr Zimmer, versuchte sich mit dem Aufräumen ihres Kleiderschrankes abzulenken. Doch das Gelesene ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Schließlich hielt sie es nicht länger aus. Sie brauchte Gewissheit.
    Rasch zog sie Mantel und Hut an, lief in die Diele und rief nach Greta. »Bitte richten Sie meiner Mutter aus, dass ich eine frühere Schulfreundin besuche und nicht vor dem Abendessen zurück sein werde.«
    »Was führt Sie zu mir, mein Fräulein?« Der Chefredakteur der Kölnischen Zeitung faltete die Hände über dem massigen Leib und blinzelte Dorothea über den Rand seiner goldgeränderten Brille hinweg an. »Möchten Sie eine Annonce aufgeben, einen Raub oder Überfall melden oder sich über einen Artikel beschweren?«
    Bleich saß Dorothea auf dem unbequemen hölzernen Besucherstuhl in der obersten Etage des Verlagshauses und hoffte inständig, ihre Ängste würden sich im nächsten Augenblick in Luft auflösen. Aufgeregt nestelte sie an den Fransen ihres Schultertuchs. »Nein, nein … es ist nur … dieser Bericht heute … über den Aufstand in Berlin. Es hieß, unter den Toten soll ein … ein Redakteur sein, und da wollte ich fragen, ob Sie möglicherweise wissen … ob Sie mir sagen können …«
    Die eben noch heitere Miene des Chefredakteurs wurde

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