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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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und weiße mit schwarzen Flecken auf den Rücken. Die beiden jungen Frauen sahen ihnen stundenlang zu, wie sie neben dem Schiff herschwammen, sich mit den kräftigen Schwanzflossen abstießen und in die Luft sprangen wie übermütige Kinder, um mit geschmeidigen Bewegungen wieder unter der Wasseroberfläche zu verschwinden. Wenn Dorothea nicht gerade spanische Vokabeln lernte, nahm sie ihr Skizzenbuch zur Hand und zeichnete Delfine. Manchmal auch die Passagiere, wenn diese sich unbeobachtet wähnten. Elisabeth saß am liebsten auf einer Backskiste am Besanmast und schrieb in ihrem Tagebuch.
    Es folgten Tage, an denen sich kein Lüftchen regte. Das Schiff dümpelte vor sich hin. Die Mannschaft wartete vergeblich auf einen kräftigen Wind, der die schlaff herabhängenden Segel blähte und den Dreimaster vorantrieb. Die Seeleute warfen ihre Netze aus oder machten die Angeln bereit. Für die Besatzung und die Passagiere der ersten Klasse erweiterte sich der Speiseplan um Tintenfische und Haie. Dorothea wandte sich ab und wollte nicht Zeugin werden, wie die Tiere vergeblich um ihr Leben kämpften und dabei das Meer aufwühlten. Wollte nicht zusehen, wie Beile und Messer, geführt von kräftigen Männerhänden, in das Fleisch hieben und die Planken sich rot färbten vom Blut der Tiere. Die Kinder beobachteten die Matrosen dabei, wie sie die Beute zerlegten. Ängstlich die vierjährigen Zwillinge, mannhaft und großspurig die beiden fünfzehn- und vierzehnjährigen Jungen Peter und Max, die Ältesten in der Runde.
    Dann kam unversehens innerhalb von nur wenigen Minuten Wind auf und nahm an Stärke zu. Unter vollen Segeln glitt die Kaiser Ferdinand dahin. Manchmal war in einiger Entfernung ein anderes Schiff zu sehen, das in entgegengesetzter Fahrtrichtung unterwegs war, beladen mit Fracht für Europa. Dorothea überlegte dann, ob wohl Menschen an Bord waren, die in ihre alte Heimat zurückkehrten. Wegen schwerer Krankheiten, weil sie an den fremden Lebensumständen gescheitert waren oder aus Heimweh.
    Doch je weiter sie sich von Deutschland entfernte, desto gelöster fühlte sich Dorothea. Besonders in Gegenwart von Elisabeth, die keine Gelegenheit ausließ, mit den Matrosen zu plänkeln, und sie mit ihrem Charme um den Finger wickelte. Die niemals schlecht gelaunt und immer zuversichtlich war. Weswegen Dorothea sie erneut um ihre Leichtigkeit beneidete.
    Seit ihrer kurzen Unterredung am ersten Tag der Reise hatte Erik Jensen keinen Kontakt mehr zu Dorothea gesucht. Manchmal allerdings glaubte sie sich heimlich beobachtet, wenn er bei Sonnenuntergang auf dem Vordeck stand, eine Zigarre rauchte oder mit dem Kapitän und den Offizieren fachsimpelte. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie sich das nur einbildete. Manchmal wiederum glaubte sie, Blicke in ihrem Rücken zu spüren. Wenn sie sich dann, um sich selbst zu beruhigen, unauffällig umwandte, sah sie Jensen, wie er an der Reling lehnte, in der Hand ein Fernrohr, das genau auf sie gerichtet war. Mit der anderen winkte er ihr zu wie ein Herrscher, der huldvoll seine Untertanin grüßt. Dorothea ärgerte sich über sich selbst, weil sie ihrer Unsicherheit und Neugierde gefolgt war und sich umgewandt hatte, und nahm sich vor, demnächst mehr Gelassenheit an den Tag zu legen.
    Der Obersteuermann machte schließlich sein Versprechen wahr und unterhielt die beiden jungen Frauen mit Seemannsgarn. »Eines Abends, wir hatten gerade die brasilianische Felseninsel Fernando de Noronha kurz unterhalb des Äquators passiert, sah ich einen alten Matrosen mit finsterer Miene auf der Schanzenverkleidung sitzen und sich eine Pfeife anzünden. Er gehörte nicht zu unserer Besatzung, weiß der Teufel, woher er gekommen ist. Sofern er nicht der Leibhaftige selbst war. Der Untersteuermann, der mit mir zum Dienst eingeteilt war, ging auf den Mann zu und wollte ihn zur Rede stellen. Im selben Moment sprang der Alte auf, und wir sahen, dass er gar keine Haut hatte, sondern nur aus Knochen bestand. Er sprang zum Bugspriet und war im nächsten Augenblick über Bord gegangen. Ich kann Ihnen sagen – noch nie habe ich so viel Angst ausgestanden.«
    Dorothea zwinkerte Elisabeth zu. »Wunderbar erzählt, Herr Obersteuermann, aber glauben Sie nicht, Sie hätten uns das Fürchten gelehrt. Ich vermute vielmehr, dass es sich um eine Sinnestäuschung handelte. Hervorgerufen durch das Mondlicht und einige Gläschen Rum zu viel.«
    Wie zwei übermütige Schulmädchen stachelten sie den Seemann zu immer

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