Das Land zwischen den Meeren
auf direktem Weg vom Atlantik zum Pazifik segelt und umgekehrt … He, was ist denn das da drüben für ein Lärm?«
»Haltet den Dieb! Man hat mich bestohlen! Meine Kette!« Die sich überschlagende Stimme von Elfriede Behrens schrillte über das Deck. Mit hochrotem Kopf fuchtelte sie mit den Armen in der Luft herum. Ganz außer Atem eilte ihr Ehemann herbei und redete beschwichtigend auf die Gattin ein.
»Nein, Piet, ich will mich nicht beruhigen! Diese Kette hat mir meine Großmutter vererbt. Und jetzt ist sie verschwunden. Eine goldene Kette mit einem Saphiranhänger.«
»Wann haben Sie die Kette denn zuletzt gesehen?«, fragte Dorothea und vergewisserte sich mit raschem Griff an den Hals, dass sich ihre Medaillonkette noch an Ort und Stelle befand. Erleichtert atmete sie auf.
»Gestern beim Abendessen.«
»Aber gestern hast du doch die Brosche getragen, die ich dir zum Hochzeitstag geschenkt habe. Das weiß ich genau, weil du mich beim Umkleiden gefragt hast: ›Soll ich lieber die Perlenkette oder die Brosche anlegen?‹ Und da habe ich gesagt: ›Zu dem blauen Kleid passt die Brosche besser.‹«
»Jetzt fällst du mir auch noch in den Rücken! Als würde es eine Rolle spielen, ob es gestern oder vorgestern war«, fuhr Elfriede Behrens ihren Gatten unwirsch an. Mittlerweile hatten sich alle Passagiere aus der zweiten Klasse an Deck eingefunden, um die Ursache des Lärms zu erfahren.
»Das war mit Sicherheit einer von diesen Rotzlöffeln. Ihr glaubt wohl, ich merke nicht, wie ihr euch hinter meinem Rücken über mich lustig macht«, wütete Elfriede Behrens und deutete auf die Kinder und Jugendlichen, die die Schultern einzogen und zu ihren Eltern flüchteten.
»Aber man kann doch nicht einfach die Kinder verdächtigen, ohne einen Beweis zu haben«, wandte Dorothea ein. Nun erregten sich auch die anderen Erwachsenen, bis schließlich alle durcheinanderredeten.
»Unerhört! Vermutlich hat die feine Dame die Kette irgendwo in ihrer hochherrschaftlichen Kajüte verloren. Und anstatt sich zu bücken und unter der Koje nachzusehen, verdächtigt sie lieber andere.«, »Die ist doch nur neidisch, weil sie selbst keine Kinder hat.«
Frau Behrens ging unvermutet auf Rufus Reimann zu und stieß ihm mit dem Finger gegen die Brust. »Den da habe ich neulich erwischt, wie er in der ersten Klasse herumgeschlichen ist. Obwohl den Passagieren vom Zwischendeck der Zutritt strikt verboten ist. Ich erkenne ihn an seinen Haaren wieder.«
»Aber ich war nie auf dem Vordeck, ganz bestimmt nicht«, verteidigte sich der Junge.
»Was fällt Ihnen ein, meinen Sohn zu verdächtigen? Dann ist Ihnen wohl entgangen, dass es noch andere Knaben an Bord gibt, die die gleichen blonden Haare haben wie mein Rufus«, ereiferte sich Else Reimann.
»Damit meinen Sie wohl unseren Max, wie? Das ist doch wohl die Höhe!« Anna Meier, eine kugelförmige kleine Frau mit strähnigem Grauhaar und teigigem Gesicht, richtete sich drohend vor Else Reimann auf.
»Eigentlich müssten das unsere Männer untereinander ausmachen. Aber mit Ihnen werde ich auch allein fertig …«
Anna Meier riss den Arm hoch, um ihrer Kontrahentin die Schute vom Kopf zu reißen. Elisabeth von Wilbrandt konnte sie mit einem beherzten Sprung dazwischen im letzten Moment zurückhalten.
»Ruhe an Bord!«, war plötzlich die donnernde Stimme des Kapitäns zu hören. »Was ist hier eigentlich los?«
Piet Behrens erklärte dem Kapitän die Situation, unterbrochen vom wütenden Gekeife der beiden Streithennen.
»Ruhe an Bord!«, brüllte der Kapitän ein weiteres Mal, und dann war es mäuschenstill. »Also, wer auch immer die Kette gestohlen hat, kann sie mir persönlich aushändigen. Ich werde schweigen, und wir lassen die Sache auf sich beruhen. Sollte der Schmuck allerdings nicht spätestens zwei Tage vor Ankunft wieder aufgetaucht sein, dann gibt es eine Kojen- und Gepäckkontrolle. Und Gnade demjenigen, bei dem die Kette dann gefunden wird.«
Die Stimmung unter den Reisenden im Zwischendeck blieb gereizt. Die Familien begegneten einander mit Misstrauen, hervorgerufen durch die Anschuldigung von Frau Behrens. Dorothea fühlte sich unwohl in dieser spannungsvollen Atmosphäre und floh so oft wie möglich mit Elisabeth an die frische Luft.
Die Route führte die Kaiser Ferdinand entlang der brasilianischen Küste Richtung Kap Horn. Delfine in unterschiedlichen Größen und Farben tauchten auf und wurden zu Wegbegleitern. Schwarze Tiere mit weißem Bauch, ganz weiße
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