Das Land zwischen den Meeren
ist bald zu Ende. Ich brauche wieder zwei Flaschen.«
Überrascht blickte Dorothea über den Ladentisch zu Johanna Miller hinüber. »Sehr gern. Aber wie komme ich denn zu Ihnen?«
Die Schweizerin zog ihre Geldbörse aus der Tasche und zählte die Münzen ab. »Ich wohne am Stadtrand Richtung Santa Ana, unmittelbar neben der Hacienda Bella Vista , einerZuckerrohrplantage. Und ich schicke Ihnen einen Kutscher.«
Dorotheas Herz tat vor Freude einen Sprung. Endlich einmal ihrer Umgebung entfliehen! Obendrein war Johanna Miller eine besonders sympathische Kundin. Allerdings kostete eine solche Fahrt Geld. Und zu Fuß wäre der Weg entschieden zu weit.
»Schade, das ist leider doch nicht möglich. Weil …«
Johanna Miller hatte offenbar Dorotheas Gedanken erraten, denn sie sprach rasch weiter. »Die Fahrt geht selbstverständlich zu meinen Lasten. Alfonso, mein Nachbar, wird Sie kutschieren. Er ist mir ohnehin noch einen Gefallen schuldig. Was halten Sie von Ostersonntag? Alfonso würde Sie um halb zwei abholen.«
Dorotheas leuchtende Augen waren eine wortlose, aber desto klarere Antwort.
Weil sie nicht mit leeren Händen kommen, die eiserne Reserve der Patentante jedoch keinesfalls angreifen wollte, nahm Dorothea ihren Skizzenblock und zeichnete einen Flakon Eau de Cologne. Das sollte ein kleines Dankeschön für die Einladung sein.
Die Tage bis Ostersonntag konnten gar nicht schnell genug vergehen. Pünktlich auf die Minute fuhr die Kutsche vor. Alfonso war ein drahtiger kleiner Mann um die Mitte sechzig mit dem dunklen Teint und den schwarzen Augen der Ureinwohner. Und wie sie alle besaß er eine ungezwungene, von Herzen kommende Freundlichkeit. Er half Dorothea beim Einsteigen in den Einspänner und lenkte sein Pferd, eine gutmütige dunkelbraune Stute, stadtauswärts nach Westen. Sofort begann er eine muntere Plauderei, erzählte, er sei Witwer, wohne seit zehn Jahren neben Johanna Miller im Haus seiner ältesten Tochter, die einen spanischstämmigen Mann geheiratet hatte, und habe drei Enkelsöhne. Seine ausschweifenden Erzählungen wurden fortwährend unterbrochen, weil er nach allen Seiten hin Freunde und Bekannte grüßen musste, die zu Pferd oder in der Droschke in der Stadt unterwegs waren.
»Doña Johanna hat mir erzählt, dass Sie aus Deutschland stammen und erst seit einem halben Jahr hier in Costa Rica leben. Aber Sie sprechen sehr gut Spanisch. Man hört kaum einen Akzent.«
Dorothea nahm dieses Kompliment mit einem stillen Lächeln an. Nach einer Dreiviertelstunde ließ Alfonso die Stute vor einem eleganten hellgrünen Holzhaus anhalten, dessen Eingangstür von lachsfarbenen Kletterrosen eingerahmt wurde. Johanna Miller stand bereits erwartungsvoll in der Tür.
»Bienvenida, herzlich willkommen, Señorita Fassbender! Ich habe mich schon die ganze Woche auf Ihren Besuch gefreut. Kommen Sie, wir setzen uns in den Garten. Mein Hausmädchen hat schon den Tee bereitgestellt. Oh, Sie haben mir etwas mitgebracht! Welche Überraschung! D und F… haben Sie den Parfumflakon etwa selbst gezeichnet?«
Dorothea nickte, und Johanna Miller schritt ihr voraus durch ein Zimmer, das ganz im englischen Stil eingerichtet war – mit einem hohen Mahagonibücherschrank, dicken Teppichen und einer schweren dunkelbraunen Ledergarnitur. Sie legte die Zeichnung auf einem Tischchen ab. »Mein Mann, Gott hab ihn selig, war Engländer. Ich habe im Haus alles so gelassen wie zu seinen Lebzeiten. Früher ist er als Kapitän auf einem Frachtsegler gefahren. Er wollte seinen Lebensabend in einem Land verbringen, in dem ein milderes Klima herrsch t als in seiner Heimat.«
Die beiden Damen setzten sich auf die Terrasse, die ringsum mit Rosen verschiedenster Farben bepflanzt war. Ihr süßlich betörender Duft stieg Dorothea in die Nase.
»Mein Edward liebte Rosen. Er hat sie alle selbst gepflanzt. Die hier vorn mit den gefüllten roten Blüten war seine Lieblingsrose, eine Princess of Wales. Aber was rede ich da die ganze Zeit … Wir wollten doch Tee trinken.« Die Schweizerin schenkte ein. »Ich hoffe, Sie mögen Earl Grey. Das ist schwarzer Tee, aromatisiert mit Bergamottöl. Und Sie müssen unbedingt das Früchtebrot probieren, das Current Bread. Nach einem Rezept meiner Londoner Schwägerin.«
Dorothea aß mit Appetit, schmeckte dem duftig bitteren Aroma des Tees auf der Zunge nach, lehnte sich in dem Korbsessel mit der hohen Rückenlehne bequem zurück und ließ die Gastgeberin erzählen. Von ihrem zwanzig Jahre
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