Das Landmädchen und der Lord
Abend hier erscheinen würden, wusste ich gar nicht.“
„So genau wusste ich das selber nicht. Eigenartig – fast überall scheinen wir uns zu begegnen, Miss Hampton, und das freut mich. Ihre Gegenwart belebt so manches langweilige Fest.“
„Jetzt schmeicheln Sie mir, Sir, ich bin ein ganz gewöhnliches Mädchen.“
„So würde ich Sie nicht nennen, Miss Hampton, ich finde Sie sogar höchst ungewöhnlich. Freuen Sie sich auf die musikalische Darbietung? Der Tenor besitzt eine hervorragende Stimme.“
„Ja, das habe ich gehört. Interessieren Sie sich für Musik, Sir? Ich spiele gern Klavier, allerdings nicht besonders gut. Und ich singe, obwohl meine Stimme zu wünschen übrig lässt.“
„Die Musik zählt zu den wahren Freuden des Lebens, ebenso wie Gedichte und gute Romane. Meinen Sie nicht auch?“
„O doch.“ Über solche Dinge hatte sie noch nie mit einem Mann gesprochen, und plötzlich fand sie Lord Pendleton viel netter. „Ich liebe gute Bücher. Aber ich weiß die Natur genauso zu schätzen. Ich genieße es zu reiten, wenn mir ein Pferd zur Verfügung steht, über Felder und Wiesen zu wandern …“ Brennend stieg ihr das Blut in die Wangen, und sie dachte, sie müsste ihm endlich reinen Wein einschenken. „Sir, vielleicht sollte ich Ihnen etwas sagen. Auf jenem Ball trafen wir uns nicht zum ersten Mal.“
„Haben Sie mich sofort wiedererkannt? Mir fiel erst am späteren Abend ein, wo wir uns schon einmal begegnet sind. Da war ich schon zu Hause. Und nun entschuldige ich mich für mein Verhalten an jenem Tag. Nachdem ich Sie beinahe überfahren hätte, erschrak ich so sehr, dass ich die Beherrschung verlor und mich abscheulich benahm.“
„An dem Zwischenfall war ich genauso schuld“, gab Susannah zu. „Obwohl ich Ihren Wagen hörte, bildete ich mir ein, ich hätte noch genug Zeit, um die Straße zu überqueren. Wie so oft war ich mit meinen Gedanken ganz woanders.“
„Erlauben Sie mir trotzdem, die ganze Verantwortung zu tragen“, bat Harry. „Ich versuche stets, mein vermaledeites Temperament zu zügeln. Aber manchmal bricht es sich Bahn.“
„Das klingt ja fast so, als wäre Ihr Temperament ein wildes Tier“, erwiderte sie belustigt.
„Ja, so könnte man es nennen“, stimmte er zu, entzückt über ihren originellen Vergleich. „Wollen wir Platz nehmen? Ich glaube, das Konzert beginnt.“
Höflich bot er ihr den Arm und führte sie zu einem Sofa.
„Hast du das neueste Gerücht gehört?“, fragte Toby, als er seinen Onkel am nächsten Nachmittag vor dem White’s Club traf. „Angeblich gehst du endlich auf Brautschau. Die Leute schwanken zwischen Miss Hamilton und Miss Hampton. Aber die meisten bevorzugen die schöne Susannah.“
Harry schnitt eine Grimasse. „Wenn du deine Zeit vergeudest, indem du Klatschgeschichten lauschst, wirst du niemals die nötigen Fähigkeiten erlangen, um dem Four-in-Hand beizutreten. Hast du unsere Verabredung heute Vormittag vergessen? Eigentlich dachte ich, du wolltest mein Gespann nach Richmond steuern.“
„O Gott!“ Toby schlug mit einer flachen Hand auf seine Stirn. „Tatsächlich, das ist mir entfallen. Gestern Abend habe ich in einer Spielhölle zu viel getrunken und heute Morgen verschlafen. Tut mir verdammt leid.“
„Dazu hast du auch allen Grund. Und nun herrscht in deiner Börse gähnende Leere, nicht wahr?“
„Ganz so schlimm war’s nicht. Northaven wollte mich wieder mal zu einer riskanten Kartenpartie überreden. Aber ich habe lieber mit meinen Freunden gewürfelt und fünfhundert an Jackson verloren. Diese Summe durfte ich mir leisten, weil ich Ravenshead am Vorabend einen Tausender abgewonnen hatte.“
„Das beruhigt mich. Obwohl ich nicht an dir herumnörgeln will, Toby – wenn du zu oft spielst, kann’s in dieser Stadt teuer werden. Falls du nicht aufpasst, wirst du deinen Schneider bald nicht mehr bezahlen können und mich anpumpen. Und ich warne dich, das wird mir missfallen.“
„Diesen Tadel würde ich verdienen, hätte ich mich von Northaven verleiten lassen. Neulich sah ich den jungen Harlow an dessen Tisch sitzen – der arme Kerl verlor ein Vermögen. Einen Teil der Summe musste er seinen Gegnern schuldig bleiben. Als er aufstand, war er leichenblass.“
„Wahrscheinlich wird er seinen Vater um Hilfe bitten“, meinte Harry nachdenklich. „Keine Ahnung, wie General Harlow eine größere Summe aufbringen soll … In letzter Zeit hatte er Pech mit einigen Investitionen. Womöglich muss er
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