Das Landmädchen und der Lord
wo Harry Pendleton ihn so schroff zurechtgewiesen hatte.
„Was, zum Teufel, sollte das heißen?“, fragte Toby, als sie weiterfuhren. „So ein unverschämter Kerl!“
„Glauben Sie, er hat von unserem Unfall gehört?“
„Das bezweifle ich. Es sei denn, jemand hat ihn darüber informiert. So etwas würde Harry nicht tun. Und sonst wusste es niemand.“
Plötzlich erinnerte Susannah sich wieder an die Begegnung im Teesalon. Hatte Miss Hazledeane irgendetwas über den unglückseligen Zwischenfall erfahren und Northaven erzählt? Und wenn schon, es spielte überhaupt keine Rolle. „Vergessen wir den Marquess, Toby. So ein unsympathischer Mann …“
„Allerdings!“, stimmte Toby im Brustton der Überzeug zu. „Ein paarmal wollte er mich an seinen Spieltisch locken. Und er war ziemlich wütend, weil ich das abgelehnt habe.“
„Das kann ich mir vorstellen.“ Entschlossen verbannte Susannah den Marquess aus ihren Gedanken und genoss die Fahrt durch den Sonnenschein.
Zu Mittag nahmen sie Erfrischungen in einem Gasthaus zu sich. Danach hielt Toby sein Wort, lud Amelia auf den Sitz seiner Karriole ein, und so saß Susannah in der Kutsche, als sie das Lord Pendletons Landsitz erreichten.
Sie fuhren durch ein imposantes schmiedeeisernes Tor, über dem der verschnörkelte Name „Pendleton“ prangte. Erst eine halbe Stunde später erblickten sie das Gebäude zwischen den Bäumen. Zu dem Landgut gehörten zwei Farmen, ein Dorf mit etwa zwanzig Cottages, eine Schmiede und eine Sägemühle.
Neugierig beugte sich Susannah aus dem Fenster, um das große Haus zu inspizieren. Im klassischen Stil erbaut, bestand es aus hellbraunem Stein. An den Haupttrakt schlossen sich links und rechts die Seitenflügel an. Weiße Säulen schmückten die Fassade, vier Stufen führten zu einem stattlichen Portal hinauf.
Sobald die Kutsche und die Karriole hielten, eilten Reitknechte herbei und halfen den Damen auszusteigen. Die Haustür schwang auf, mehrere Lakaien und eine schwarz gekleidete Haushälterin stiegen die Stufen herab.
„Willkommen, meine Damen“, grüßte die Haushälterin. „Ich bin Mrs. Saunders. Seine Lordschaft geht gerade mit ein paar Gentlemen spazieren. Aber Lady Elizabeth erwartet Sie zusammen mit anderen Gästen im Salon. Heute Morgen um elf Uhr sind die ersten eingetroffen.“
„Guten Tag“, erwiderte Margaret Hampton. „Ich bin Mrs. Hampton – das sind Miss Royston und meine Tochter Susannah.“
„Möchten Sie zuerst nach oben gehen, Ma’am?“, fragte die Haushälterin. „Ich führe Sie hinauf und schicke einen Lakaien zu Ihrer Ladyschaft, der sie über Ihre Ankunft informieren soll.“
„Ja, danke.“
Die drei Damen folgten Mrs. Saunders zum zweiten Stock hinauf und durch eine breite Doppeltür in eine luxuriöse Suite.
Voller Stolz schaute die Haushälterin sich um. „Das ist die Grüne Suite. Sogar der Duke of Marlborough hat einmal hier logiert. Seine Lordschaft möchte es Ihnen so bequem wie möglich machen. Zwei Salons und drei Schlafzimmer stehen Ihnen zur Verfügung.“
Während Margaret Hampton und Amelia die Schlafzimmer erforschten und entschieden, wer welches bewohnen sollte, wanderte Susannah in einem der Salons umher. Sie strich über die blank polierten Mahagonimöbel, berührte Polsterungen aus grün gestreiften Satin und bewunderte eine Vitrine, in der einige kleine Kunstgegenstände standen. Vor allem die Figurinen aus Meißener Porzellan, gekleidet wie französische Höflinge aus dem vorigen Jahrhundert, gefielen ihr. Ein hohes Bücherregal enthielt zahlreiche in Leder gebundene Bände.
„Komm, Susannah, schau dir das Schlafzimmer an, das wir für dich ausgesucht haben“, bat Mrs. Hampton. „Die Fenster bieten einen Ausblick auf den Park. Und in der Ferne sieht man den See.“
„Ja, Mama.“ Gehorsam folgte Susannah ihr in ein Schlafzimmer, das in helleren Farben gehalten, aber ebenfalls mit majestätischen Mahagonimöbeln eingerichtet war. Noch nie hatte sie sich in einem so opulenten Gebäude aufgehalten. Gewiss, Amelias Haus in Bath war sehr komfortabel – aber das hier … Eignete sie sich zur Herrin eines solchen Haushalts? War sie dieser Ehre würdig? So viele Pflichten kamen auf sie zu, und sie wusste nicht, ob sie ihnen gewachsen wäre. Erst in diesem Moment erkannte sie, was für ein reicher, bedeutsamer Mann ihr Verlobter war, und das jagte ihr beinahe Angst ein.
„Gefällt dir dieser Raum, Liebes?“, fragte Mrs. Hampton.
„Natürlich, Mama.“
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