Das Landmädchen und der Lord
Susannah blickte aus dem Fenster. In der Ferne glitzerte der See. Zwei Personen näherten sich der Vorderfront, und sie erkannte Harry und Miss Hazledeane. Vorhin hatte Mrs. Saunders erklärt, er sei mit einigen Gentlemen spazieren gegangen. Und nun kehrte er mit dem Mündel seiner Mutter zurück. Miss Hazledeanes Hand lag auf seinem Arm. Offenbar waren sie in ein angeregtes Gespräch vertieft.
Unwillkürlich empfand Susannah eine beklemmende Eifersucht, die sie hastig verdrängte. Welch ein Unsinn, sagte sie sich. Dass Harry sich so gut mit Lady Elizabeths Mündel verstand, war nicht erstaunlich. Sie wandte sich vom Fenster ab und schaute sich wieder in ihrem feudalen Schlafzimmer um. Dann nahm sie ihre Pelisse ab und legte sie auf das Bett, zusammen mit ihrem Hut und den Handschuhen. „Wenn ich meine Sachen ausgepackt habe, werde ich mich sicher etwas heimischer fühlen.“
„Gewiss, Susannah“, stimmte Mrs. Hampton zu. „Du bist ziemlich überwältigt, nicht wahr?“
„Nun, so grandios hatte ich mir das Haus nicht vorgestellt. Und ich frage mich, ob ich hierherpasse.“
„Anfangs kommst du dir etwas fremd vor, das ist ganz natürlich. An eine so verschwenderische Ausstattung sind wir nicht gewöhnt. Papas Haus war sehr bescheiden. Und Amelias Domizile – zweifellos sind sie gemütlich. Aber mit diesem Luxus lassen sie sich nicht vergleichen. Und du musst bedenken – Lord Pendleton hat uns in der schönsten Suite einquartiert, weil wir seine Ehrengäste sind.“
Susannah holte tief Atem. Sicher hingen ihre Zweifel nur mit einer vorübergehenden Nervosität zusammen. „Bitte, sorg dich nicht, Mama. Bald werde ich mich hier einleben. Sollen wir nach unten gehen?“
Noch während sie sprach, erklang eine Stimme in einem der Salons, und Mrs. Hampton lächelte. „Ah, Lady Elizabeth ist heraufgekommen, um uns willkommen zu heißen.“
Susannah folgte ihrer Mutter in den Nebenraum, wo die Hausherrin gerade Amelia begrüßte. Freundlich wandte sie sich zu den beiden anderen Gästen. „Mrs. Hampton – Susannah! Hoffentlich gefällt Ihnen die Suite.“ Sie küsste Susannah auf die Wange. „Gewiss, die Räume wirken ein bisschen zu förmlich. Aber ich dachte, für Susannah wäre es angenehmer, wenn sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Freundin wohnt.“
„Ja“, bestätigte Susannah, „Sie sind sehr rücksichtsvoll, Ma’am.“ Angesichts der Herzenswärme, die Lady Elizabeths Lächeln ausstrahlte, spürte sie, wie ihr Unbehagen nachließ. „Vielen Dank, dass Sie es so arrangiert haben …“
Verständnisvoll nickte Lady Elizabeth. „Das ist so ein riesiges Gemäuer. Als junges Mädchen kam ich zum ersten Mal hierher und wurde im Ostflügel untergebracht. Immer wieder verirrte ich mich, und einmal geriet ich in den Flügel der Gentlemen, das war furchtbar peinlich. So etwas soll Ihnen nicht passieren, Susannah. Und jetzt gehen wir hinunter, ich möchte Sie mit meinen Freunden bekannt machen.“
Sie nahm Susannah beim Arm, und sie stiegen die Stufen hinab, gefolgt von Amelia und Margaret Hampton.
Auch der Große Salon war sehr elegant eingerichtet, in Weiß, Rot und Gold. An den Wänden hingen Spiegel mit vergoldeten Rahmen und kostbare Gemälde. Etwa fünfzehn Leute hielten sich im Zimmer auf. Einige kannte Susannah, andere nicht. Sie sah den Earl of Ravenshead und Lady Manners, Miss Terry und ihren Bruder und mehrere Gentlemen, die ihr noch nie begegnet waren.
„Mein Vetter, der Earl of Elsham, Lord Marsham und Sir Henry Booker“, erklärte Lady Elizabeth. „Lady Elsham und Lady Booker – Lord Coleridge und der Earl of Ravenshead. Wie Sie vielleicht schon wissen, Susannah, sind Max und Gerard eng mit Harry befreundet.“
„Ja, beide habe ich bereits kennengelernt. Lord Coleridge allerdings nur ganz kurz.“ Höflich reichte Susannah dem hochgewachsenen, imposanten Mann ihre Hand.
„Freut mich, Sie wiederzusehen, Miss Hampton.“ Bewundernd schaute Max Coleridge sie an. „Wie Harry mir erzählt hat, möchten Sie kutschieren lernen. Wann immer Sie es wünschen, würde ich Sie sehr gern auf einer Übungsfahrt durch den Park begleiten.“
Lächelnd dankte sie ihm.
Dann versuchte sie sich die Namen der Gäste einzuprägen, die ihre Gastgeberin genannt hatte. Einige waren schon etwas älter – Verwandte, die sich während der Saison nicht in London aufgehalten hatten. Offenbar sah Lady Ethel Booker sehr schlecht, und sie benutzte ein Lorgnon, um Susannah zu inspizieren. „Keine
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