Das Landmädchen und der Lord
mit ihm allein verbracht. Seit Tagen versuchte sie sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie mit dem Mann verlobt war, den sie liebte. Und sie wusste nicht, ob er ihre Gefühle erwiderte. Gewiss, er mochte sie. Doch die meisten Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen. Immer wieder fragte sie sich, ob Harry sie eines Tages so leidenschaftlich lieben würde, wie sie es erträumte.
Selbst wenn sie seiner Liebe sicher wäre, hätte die Situation ihre Nerven strapaziert. Nur eine sehr selbstbewusste Braut konnte die Versammlung einer so großen Familie, die sie prüfend beobachtete, mühelos verkraften.
Nach dem mehrstündigen Dinner in ihrem Zimmer angekommen, atmete sie erleichtert auf. Ihre Zofe half ihr beim Auskleiden, bürstete ihr Haar und wünschte ihr eine gute Nacht. Dann sank Susannah ins Bett. Trotz ihrer Erschöpfung warf sie sich rastlos umher. Schließlich beschloss sie, ein Buch aus dem Salon der Suite zu holen und ein wenig zu lesen. Durch die Fenster schien der Mond ins Zimmer. Eine Zeit lang schaute sie hinaus – und da sah sie einen Mann und eine Frau aus den Büschen auftauchen. Sie blieben stehen und umarmten sich, bevor der Mann davoneilte. Trotz des hellen Mondscheins konnte Susannah die Gesichter nicht erkennen. Doch sie vermutete, die Frau wäre Miss Hazledeane.
Wen hatte sie getroffen? Den Marquess of Northaven? Wenn Harry das wüsste, wäre er zweifellos empört.
Oder war es Harry selbst gewesen? Am Nachmittag hatte er sich anscheinend sehr wohl in Jennys Gesellschaft gefühlt … Nein, welch ein schrecklicher Gedanke! Wenn sie auch nicht wusste, ob er sie liebte – niemals würde er eine andere Frau küssen, wenn sich seine Verlobte in der Nähe befand.
Sollte sie ihm erzählen, was sie gesehen hatte? Gewiss war ein heimliches Stelldichein im Garten verwerflicher als ein Treffen im Teesalon. Miss Jenny Hazledeane war Lady Elizabeths Mündel. Und solange sie hier wohnte, müsste sie sich schicklich verhalten.
Aber Susannah war nicht sicher, was sie gesehen hatte. Und sie wollte das Mädchen nicht zu Unrecht beschuldigen.
Seufzend verdrängte sie das Problem. Sie hatte genug eigene Sorgen. Konnte sie – „eine stille kleine Landpomeranze“, wie Lady Ethel sie genannt hatte – jemals eine würdige Herrin dieses stattlichen Hauses werden?
Warum hatte Harry um ihre Hand gebeten? Weil sie so charmant und schön war, die geeignete Mutter seines Erben?
Oder weil er sie liebte?
Sie suchte einen Gedichtband aus, den sie in ihr Bett mitnahm. Nachdem sie eine Weile gelesen hatte, fielen ihr die Augen zu, und sie blies die Kerze auf dem Nachttisch aus. Vor dem Einschlafen galt ihr letzter Gedanke dem Mann, den sie liebte – und ihrer Enttäuschung. Sie wollte nicht geliebt werden, weil sie schön war – und weil sie die passende Mutter eines vornehmen Erben sein würde. So inständig wünschte sie sich, Harry würde sie voller Verlangen lieben und sie küssen – nicht so wie bei seinem Heiratsantrag, sondern in wilder, verzehrender Glut …
7. KAPITEL
Susannah verspeiste ein Honigbrötchen. Dazu trank sie eine Tasse heiße Schokolade. Sie frühstückte mit Amelia in einem der beiden Privatsalons, während ihre Mutter sich wie gewohnt ein Tablett ans Bett bringen ließ.
Still und in sich gekehrt, sah Amelia müde aus. Susannah vermutete, ihre Freundin hätte schlecht geschlafen.
Doch sie stellte keine Fragen. So impulsiv wie früher war sie nicht mehr, und Amelia hatte ein Recht auf ihre Geheimnisse.
„Was hast du heute Morgen vor?“ Nur mühsam schien Amelia einen Tagtraum zu verdrängen.
„Harry will mit mir über seine Ländereien fahren. Vielleicht wird er mir die Zügel überlassen. Ich würde so gern lernen, wie man ein Gespann steuert.“
„Ja, das ist eine sehr nützliche Fähigkeit“, sagte Amelia lächelnd. „Als ich zum ersten Mal Kutschpferde lenken durfte, war ich noch jünger als du.“
„Und was machen Sie heute Vormittag?“
„Miss Hazledeane lud mich zu einem Spaziergang ein. Aber ich werde erst später nach unten gehen, weil ich einige Briefe schreiben muss. Vor unserer Abreise aus London gab ich in mehreren Zeitungen eine Stellenanzeige für eine Gesellschafterin auf. Inzwischen erhielt ich etliche Bewerbungen. Doch nur eine sagt mir zu. Wenn ich auf meinen Landsitz zurückkehre, soll Miss Emily Barton mich besuchen.“
„Oh … Wenn Mama und ich Sie verlassen, werden Sie sich einsam fühlen. Falls … falls ich eines Tages die Herrin von Pendleton
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