Das Landmädchen und der Lord
schlechte Figur“, teilte sie ihrem Ehemann mit etwas zu lauter Stimme mit. Anscheinend hörte sie auch schlecht. „Viel besser, als ich’s von einer kleinen Landpomeranze erwartet habe.“
„Sei still, Ethel“, mahnte ihr Gemahl, „wieder einmal sprichst du viel zu laut.“ Entschuldigend lächelte er Susannah an, die verlegen den Blick senkte.
Allem Anschein nach wurde sie von Harrys Familie unter die Lupe genommen. Verständlicherweise wollten seine Verwandten herausfinden, ob sie sich zu seiner Braut eignen würde, und sie fürchtete, den Ansprüchen nicht zu genügen. Durfte ein gewöhnliches Mädchen vom Land einen so vornehmen Gentleman wie Lord Pendleton heiraten?
Als sie von Miss Terry und ihrem Bruder angesprochen wurde, antwortete sie leise und zögernd, ohne die gewohnte sprühende Lebensfreude, eingeschüchtert von all den prüfenden Blicken.
Und dann trat Miss Hazledeane ein, entspannt und selbstsicher, die Wangen von ihrem Spaziergang gerötet. Während Susannah die junge Dame beobachtete, wäre sie am liebsten davongelaufen. Aber ihr Stolz verhinderte ein so kindisches Benehmen, und wenig später kam Toby ihr zu Hilfe.
„Ah, da sind Sie ja. Meine Mutter ist noch nicht hier. Doch sie müsste bald mit meiner Schwester Anne eintreffen. Wenigstens werden Sie die Gesellschaft einiger Damen in Ihrem Alter genießen, Susannah. Fürchten Sie sich nicht vor der alten verknöcherten Verwandtschaft, und bedenken Sie – Hunde, die bellen, beißen nicht. Oh, da ist ja mein Onkel …“
Freudestrahlend begrüßte Harry seine Braut. „Freut mich, dass du wohlbehalten angekommen bist, meine Liebe. Wann ich dich erwarten sollte, wusste ich nicht genau. Eigentlich dachte ich, erst am späteren Abend. Aber wie Toby mir erzählt hat, konntet ihr ziemlich schnell fahren.“
„Ja, das stimmt.“ Unsicher erwiderte sie sein Lächeln. „Was für ein schönes Heim du besitzt …“
„Nun, Pendleton ist ein typisches Herrschaftshaus. Ob man es ein Heim nennen soll, bezweifle ich. Meine anderen Häuser finde ich behaglicher. Irgendwann werde ich dir alle zeigen. Aber im Sommer versammeln sich meine Verwandten am liebsten hier. Meistens bleiben sie ein paar Wochen. Zum Glück ist dieses Gemäuer groß genug für die ganze Familie. Ja, dieses Jahr sind fast alle da. Keine Ahnung, warum. Meine Mutter hat mir versichert, sie hätte nur die üblichen Einladungen verschickt.“
„Eine Einladung nach Pendleton nimmt wohl jeder an.“
„O Gott, keineswegs! Einige Leute habe ich seit fünf Jahren nicht mehr hier gesehen. Wahrscheinlich sind sie diesmal aus einem ganz bestimmten Grund erschienen.“ Belustigt zwinkerte er ihr zu. „Sie wollen die Braut begutachten. Da fällt mir ein – du trägst deinen Ring noch nicht. Den gebe ich dir später.“
„Darauf freue ich mich.“ Susannah betrachtete die Spitzen ihrer weißen Satinschuhe. „Offensichtlich besitzt du ausgedehnte Ländereien. Eines Tages würde ich sie gern erforschen.“
„Wann immer du willst. Morgen Vormittag fahren wir aus. Das wird dir helfen, dich zu orientieren. Natürlich will ich verhindern, dass du dich verirrst, wenn du allein unterwegs bist.“ Nun wandte er sich zu seinem Neffen. „Vorhin war ich im Stall, und ich bin sehr zufrieden mit den neuen Pferden, die du ausgewählt hast. Du bist ja ein richtiger Kenner geworden.“
„Danke, Harry“, antwortete Toby, erfreut über das Lob. „Ich würde Ihnen gern den See zeigen, Susannah. Aber Tante Elizabeth ist fest entschlossen, Sie all den Leuten zu präsentieren.“ In diesem Moment kam die Gastgeberin zu ihnen, eine ältere Dame im Schlepptau. „Das ertrage ich nicht. Ich verschwinde. Beim Dinner sehen wir uns wieder, Susannah.“
Amüsierte schaute Harry seinem Neffen nach, der aus dem Salon flüchtete. „Am liebsten würde ich Tobys Beispiel folgen und mit dir das Weite suchen, Susannah. Aber ich fürchte, du musst die Prozedur lächelnd erdulden. Morgen werden sie alle ihre Neugier befriedigt haben, und wir beide können eine Besichtigungstour unternehmen.“
Bevor Susannah nach oben gehen und sich für das Dinner umkleiden durfte, hatte sie so viele Leute kennengelernt, dass ihr der Kopf schwirrte. Sie war nicht sicher gewesen, wie man sie empfangen würde. Doch die meisten hatten sie höflich begrüßt.
Auch beim Dinner gewann sie den Eindruck, man würde sie akzeptieren – zumindest vorerst.
Sie wünschte, vor der Begegnung mit Harrys Verwandten hätte sie einige Zeit
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