Das Landmädchen und der Lord
Schlachtfeldern mehrmals erduldet, meistens ohne Laudanum. Deshalb wusste er, welche Qualen auf Susannah warteten.
Mit eisernem Griff umklammerte er ihre Hand, als die Wunde gereinigt wurde. Susannah wandte ihm ihr schmerzverzerrtes Gesicht zu, bevor der Doktor sein Skalpell ergriff und sich über ihren Arm beugte. Trotz des Mittels, das sie geschluckt hatte, zuckte sie gepeinigt zusammen.
„Bald ist es überstanden, Liebling“, beteuerte Harry, „dann wirst du schlafen, und es tut kaum noch weh.“
„So …“ Zufrieden ließ der Arzt die Kugel in eine andere Schüssel fallen. „Das ist einfacher gewesen, als ich es befürchtet habe. Wirklich, Miss Hampton, Sie waren erstaunlich tapfer.“ Er berührte ihre Stirn, weil ihm auffiel, wie reglos sie dalag. „Nun übt das Laudanum bereits seine Wirkung aus. Eine allzu hohe Dosis wollte ich ihr nicht verabreichen. Jedenfalls wird sie ein paar Stunden schlafen. Was ich jetzt noch tun muss, wird sie nicht wahrnehmen.“ Er nähte die Wunde und legte Susannah einen Leinenverband an. „Vielleicht wird eine kleine Narbe zurückbleiben. Wenn sie fiebert, müssen Sie mich sofort verständigen, Lord Pendleton, und ich werde ihr ein Medikament verabreichen.“
„Danke.“ Harry neigte sich hinab und küsste Susannah auf die Wange. „Hoffentlich bekommt sie kein Fieber. Ein Glück, dass Sie heute Morgen zur Stelle waren, Sir … Sonst wäre sie verblutet.“
„Dieser bedauernswerte Zwischenfall sollte Ihnen klarmachen, wie wahnwitzig diese Duelle sind! Hätte Miss Hampton nicht eingegriffen, würden Sie womöglich daliegen.“
„Oh, das wünschte ich! Ja, Doktor, Sie haben recht, mein Stolz hat mich zu diesem Unsinn verleitet. Aber ich habe meine Lektion gelernt. Und ich glaube, Northaven gibt sich mit dem Ausgang des Duells zufrieden. Jedenfalls war seine Rache grausamer, als wenn er mich erschossen hätte.“
„Nun will ich mich verabschieden, Sir.“ Der Doktor wandte sich zu Amelia. „Begleiten Sie mich nach unten, Miss Royston? In den nächsten Tagen wird Miss Hampton eine fürsorgliche Pflege brauchen. Und Sie sind anscheinend eine vernünftige junge Frau. Werden Sie sich um unsere tapfere Patientin kümmern?“
„Eigentlich wollte ich morgen früh abreisen. Aber ich wer de Pendleton erst verlassen, wenn Susannah sich erholt hat. Den Dienstboten möchte ich ihre Betreuung nicht überantworten. Und ihre Mama wird zu verzweifelt sein. Natürlich werde ich meine Freundin pflegen.“
„Vielen Dank. Auf dem Weg hinunter werde ich Ihnen noch erklären, worauf Sie achten müssen, falls sie zu fiebern anfängt.“
Sobald sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, beugte Harry sich wieder zu Susannah hinab. „Schlaf gut, meine wundervolle, törichte Liebste.“ Behutsam hauchte er einen Kuss auf ihre Lippen. „Warum hast du dich bloß so leichtfertig verhalten?“ Seine Augen verengten sich, während er überlegte, wer ihr von dem Duell erzählt haben mochte. Um diese frühe Morgenstunde konnte sie nicht zufällig auf die Lichtung geraten sein. Falls Toby es ihr mitgeteilt hat, wird er meinen Zorn von der schlimmsten Seite kennenlernen . Und der Stalljunge hätte niemals den Phaeton für sie anspannen dürfen.
Obwohl er wütend war, weil Susannah ihr Leben riskiert hatte, bewunderte er ihren Mut. Allmählich verebbte sein Ärger, und er lächelte, voller Stolz auf die geliebte Frau, die mehr Courage bewiesen hatte als die meisten Männer in seinem Bekanntenkreis. Wenn sie genesen war, würde er natürlich mit ihr schimpfen – aber nicht allzu streng. Und warum hatte sie überhaupt geglaubt, er würde ihre Hilfe brauchen? Doch sie hatte nicht gewusst, welch ein schlechter Schütze Northaven war.
Wenigstens war sie am Leben geblieben. Nun konnte er nur noch beten, der Allmächtige möge ihr ein Wundfieber ersparen.
„Oh, mein armes Kind!“, jammerte Mrs. Hampton, neigte sich zu Susannah hinab und küsste ihre Wange, die Augen voller Tränen. „Du dummes, dummes Mädchen! Was, um alles in der Welt, hast du dir nur dabei gedacht?“
Susannah vermochte nicht zu antworten. Denn das Fieber, das sie alle befürchtet hatten, war eingetreten. Als sie aus dem Schlaf erwacht war, hatten sich all die Symptome gezeigt. Ihre Haut schien zu brennen, auf ihrer Stirn glänzten Schweißperlen. Rastlos warf sie sich umher. In ihrem Delirium rief sie immer wieder nach Harry.
Auch jetzt stöhnte sie: „Harry … Bitte, stirb nicht – verlass mich nicht
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