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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Durcheinander, Rauch, Feuer. Renn, July, renn! Zerr den weißen Mann vom Pferd und tritt auf seine Hand. Und der da, rasch, mach ihm Angst mit dem Feueranzünder. Verhau ihn. Verklopp ihn. Aber dann renn! Renn!

    Plötzlich, ohne Vorwarnung, musste July sich mit der Hand auf den Mund schlagen, um die Kotze aufzufangen, die sich aus ihr ergoss.
    »Marguerite, wo willst du hin?«, rief ihre Missus, als July aus dem Zimmer floh.
    July erbrach sich auf der Veranda. Sie würgte, ihr Rachen war wund, sie musste abermals würgen, wovon ihr Magen schmerzte.
    Doch der entsetzliche Lärm, der vom Negerdorf heraufscholl, war jetzt, da kein Glas ihn dämpfte, nur noch lauter. Er schleuderte July geradezu ins Haus zurück. Sie wischte sich den Rotz von der Nase, die Tränen aus den Augen und atmete so tief durch, wie ihre böse Vorahnung es zuließ.
    Als sie den Salon wieder betrat, sah sie ihre Missus tief über Emily gebeugt – zärtlich kitzelte sie das Baby, das auf dem Ruhebett lag, am Hals. Ihre Missus, die eben noch eine starre, finstere Miene gezogen hatte, spitzte die Lippen. Und flüsterte dem Kind zu: »Was für ein kleines Wesen du doch bist.« Die Missus starrte unverwandt auf das Baby, weitete die Augen, öffnete und schloss langsam die Lippen. Dann lächelte sie und patschte leise in die Hände. Als sie dem Baby ihren kleinen Finger in den Mund schieben wollte, spürte sie, dass July sie ansah. Ohne den Blick vom Baby abzuwenden, sagte die Missus: »Sie sieht genauso aus wie er. So blond. Überhaupt kein Niggerkind.« Als sie aufschaute und Julys Blick auf sich gerichtet sah, fügte sie hinzu: »Und sie ist hinreißend.« Dann begann die Missus wieder zu gurren. »Wie heißt sie noch gleich?«, fragte sie.
    July machte einen Satz durch das Zimmer, um ihr Kind der Zuneigung der Missus zu entreißen. »Marguerite, ich tu ihr doch nichts«, sagte ihre Missus, als July das Baby vom Ruhebett raffte. Doch beim Geräusch schwerer Schritte, die die Verandatreppe heraufgestürmt kamen, wandten sich beide, July und ihre Missus, erschrocken zur Tür um.

    Robert Goodwin stürzte ins Zimmer.
    Sein Hut saß ihm nicht auf dem Kopf. Sein Haar war nass. Sein Gesicht schwarz vor Ruß und von herabrinnenden Schweißschlieren gestreift. Sein Hemd, das ihm aus der Hose hing – ein einziger Schmutzlumpen –, wies am Kragen eine Blutschmarre auf. Sein braunes Jackett war zerfetzt – am Ärmel, an der Schulter. Seine Stiefel waren mit fauligem Kot verkrustet. Eine Vogelscheuche, kein englischer Gentleman. Und doch verbreitete er eine Atmosphäre rückhaltlosen Jubels, als er sagte: »Ein riesiger Erfolg!«
    July wusste nicht, wen er da anredete, denn er betrachtete weder sie noch die Missus, die ihn beide bestaunten.
    »Die Neger begreifen endlich, worin ihre Pflicht besteht. Und die besteht gegenüber ihren Herren und gegenüber Gott.«
    Als er weiter ins Zimmer trat, zögerte er, auf wem er seinen Blick ruhen lassen sollte. »Ich habe sie wieder der rechtmäßigen Arbeit zugeführt«, sprach er erst die Missus an, die hochrot vor ihm glühte. »Morgen früh, wenn das Muschelhorn geblasen wird, werden die Neger damit beginnen, vier der Zuckerrohrfelder abzuernten, das haben sie mir zugesichert«, fuhr er, an July gewendet, fort. »Alles ist gut«, sagte er lachend, bevor er den Kopf himmelwärts hob und verkündete: »Wenn mein Vater hier wäre, ich glaube, am heutigen Tag würde er mir die Hand schütteln. Ja. Ja. Ich glaube, mein Vater wäre sehr stolz auf seinen Sohn.«
    Dann aber umfasste Robert Goodwin seinen Arm – den, an dem der Jackettärmel zerrissen war –, und beim nächsten Schritt taumelte er. Die Missus quiekte wie ein abgestochenes Schwein – als wäre sie es, die den Schmerz empfand – und setzte ihren fetten weißen Arsch in Bewegung, um ihren Gatten zu stützen. July hatte ihn noch nie so schnell losstürzen und so breit wackeln sehen.
    »Ach, Robert, Robert«, keifte die weiße Frau. »Was ist? Robert, Robert«, als könne er sich nicht auf seinen Namen besinnen.

    Als er der Missus den Arm um die Schulter legte, wäre die schwache Frau beinahe zu Boden gesunken. Denn bislang hatte nie etwas Schwereres als Nottinghamer Spitze ihren schlaffen Hals bebürdet. Unter dieser Last schwankte sie schamlos wie ein mit Rum abgefüllter Bakkra. Doch noch während die Missus ihn zu einem Stuhl schubste und schob, befahl sie July frech und unverfroren: »Schnell, hol Wasser, Marguerite.«
    Ha! July war nicht hier, um ihr

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