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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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nich’ schneiden«, sagte July.
    Aber er übertönte sie: »Ich brauche keine Nigger, ich werde alles selbst tun.« Er drehte sich um und wollte wieder auf die Zuckerrohrstängel einschlagen – schwach wie ein kleiner Junge, der mit einem Stock spielt. Die Stacheln von den abgeschlagenen Blättern flogen July in die Augen, dass es schmerzte. Wieder ergriff sie seinen Arm, er aber schrie: »Geh weg von mir, Niggerin, geh weg.«
    Sie ließ ihn nicht los.Verzweifelt hielt sie ihn fest – umklammerte seinen Arm, während er sich krümmte und wand in dem Bemühen, sie abzuschütteln. Sie wollte ihn nicht loslassen.Aber
dann packte er sie so fest an der Gurgel, dass ihr unter seinem Griff die Zunge aus dem Mund quoll. July suchte sich ihm zu entwinden, da schwang er hoch über ihr seine Machete. Und plötzlich hörte July sich rufen: »Gnade, Massa, Gnade!«, und schauderte vor ihm zurück.
    Es war die Missus, die ihm die Machete aus der Hand riss und July vor dem fürchterlichen Hieb rettete. »Robert, was tust du da?«, schrie sie.
    Sein Arm war noch zum Schlag erhoben, sein Blick noch grausam, als Robert Goodwin July herzlos von sich schleuderte. Er funkelte die Missus zornig an, musterte sie vom Scheitel ihres blonden Schopfes bis zu den Zehen in ihren feinen Schuhen. Dann fiel sein Blick auf die Machete, die sie ihm weggenommen hatte und die sie jetzt an sich presste. Gleich darauf sank er auf den Zuckerrohrabfällen in die Knie, erst auf das eine, dann auf das andere, beugte den Kopf, vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte.

ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Komm, lass uns zunächst die Feldneger suchen, die einst auf der Plantage mit Namen Amity wohnten und arbeiteten. Wir müssen ein gutes Stück fahren, bis zu dem Weg, den sie einschlugen, als sie diesen Ort aufgaben. Der Pfad, den sie bereisten – unter Mitnahme ihrer geretteten Matratzen, Stühle, Tontöpfe, Blechpfannen – , war im Laufe vieler Jahre von Hunderten nackter schwarzer Füße wie den ihren getrampelt worden. Sie alle wollten von Weißen ungestört leben. Davor war er von aufmerksamen Sklaven begangen worden, die Wildschweine jagten. Entlaufene Sklaven waren auf ihm geflüchtet, Notleidende hatten sich am Rand versteckt.
    Als jedoch die Neger von Amity auf ihm flohen, hingen ihnen flatternde Hühner über den Schultern; meckernde Ziegen waren hintereinandergebunden; Kinder wurden vorangeschubst; Alte stützten sich auf Stöcke oder hockten auf rumpelnden Karren, deren Räder knarrten und im Schlamm stecken blieben; störrische Esel wurden mit Peitschenhieben dazu aufgestachelt, schwerfällig ihre Traglast zu schleppen; gereizte Ochsen ächzten unter ihrem Joch.
    Der Weg, den sie nahmen, windet sich durch einen dichten Farnwald, dessen dunkler Baldachin aus pelzigen Wedeln kaum Licht durchlässt. Dann aber erhebt er sich aus dem weichen, feuchten, bewaldeten Tal, steigt steil an und ist mit Bambus und Blauholz bewachsen.Wilde Baumwolle säumt jetzt unsere Route – ihrer eigenen Blätter beraubt, doch mit verzweigten Ästen, die von wilden Feigen und Kletterpflanzen überwuchert sind.

    Das Terrain wird ebener, Steine sind zu sehen, und das Fortkommen wird von Felsbrocken behindert, die hoch aus dem Erdreich ragen. Weiter geht’s, vorbei an umgestürzten Bäumen und einem zotteligen Dickicht aus gelben Bananenstauden, und von hier fällt unser Blick zum ersten Mal auf jene Schwemmebene, wo unsere Neger rasteten, auf das behelfsmäßige Lager, das sie, wie sie glaubten –, außerhalb der abfallenden Grenzen von Amity errichteten.
    Peggy und Cornet besahen sich den kläglichen Flecken, beluden ihren Karren, nahmen Abschied und fuhren weiter nach Westmoreland. Benjamin ging, um sich seinem Pfarrer anzuschließen, der an einem Ort namens Sligoville ein eigenes Stück Land bestellte. Samuel konnte nicht bleiben, denn für seine Garnelenfangkörbe benötigte er einen tieferen Fluss, und das Rinnsal, das durch diese Landschaft sickerte, ließ sich mit einem Satz überqueren. Tilly weinte und flehte sie an, zur Plantage zurückzukehren, bis Miss Nancy ihr eine Ohrfeige versetzte. Während Mary Ellis stumm dabeistand und sich umblickte, denn sie bezweifelte, dass das Land ausreichte, sie alle zu ernähren.
    Giles dagegen breitete die Arme aus, um ihnen den Flecken, an dem kein Weißer ihnen nachstellen konnte, in all seiner Pracht vorzuführen. Er deutete auf das zugewucherte Flachland gleich hinter dem Wald. Dort drüben standen Bäume, reich

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