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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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behangen mit Früchten. Bald schon würden diese Ländereien gerodet sein und mit Kochbananen, Kakao, Yams und Mais bepflanzt werden. Sie hatten Ziegen, Hühner,Wildschweine in Hülle und Fülle, und war es Ezra nicht gelungen, dem Massa fünf Kühe zu stehlen?
    James Richards war dafür verantwortlich, die Bäume zu fällen, Holz zu schlagen, Hütten zu bauen. Während Elizabeth Millar, die, sobald sie außer Hörweite war, Schwarzer Bakkra genannt wurde, die Rodung vorantrieb, bei der selbst die Alten und die Kinder ihr Teil beizutragen hatten.

    Du magst, geneigter Leser, in dieser Wildnis nur eine gottverlassene Ebene sehen, auf der verwahrloste, ausgehungerte, erschöpfte und erbarmungswürdige Neger – Männer, Frauen und Kinder – sich einzurichten suchten, aber noch war nicht eine Hüttenwand zu sehen. Doch auf diesem unwirtlichen Stückchen Land rief der alte Dublin Hilton jeden Morgen aus vollem Herzen: »Das ist die Freiheit!« Wenn zum Zeichen, dass die Arbeit beginnen sollte, das Muschelhorn geblasen wurde, hob der vormalige Sudmeister die Stimme und rief allen, die jetzt dort lebten, zu: »Aufgewacht ihr alle, denn das bedeutet es, frei sein.«
    Und jetzt müssen wir an die Stelle zurückkehren, die sie verlassen hatten, müssen durch die Ländereien von Amity gehen. Durch Felder, auf denen die Zuckerrohrstängel bereits von Unkraut umschlungen und erwürgt werden. Ein Teil der Ernte ist niedergetrampelt wie ausgesonderte Bagasse. Ohne die Neger ist ein Großteil des Bodens verdorben und vollkommen wertlos.
    Sieh nur, die Tür zum Bagasselager steht offen, und die vom Winde verwehten dünnen Zuckerrohrabfälle fliegen umher wie Steppenläufer. Schon hat sich das Mühlrad in einer Jungfernrebe verheddert und kann sich nicht mehr drehen, selbst wenn es noch Arbeiter oder Tiere gäbe, die bereit wären, seine Spindel zu treiben. Und die Rinne für den Zuckerrohrsaft ist zerbrochen. Wenn die kostbare Flüssigkeit jetzt von der Mühle zu den Kesseln im Sudhaus liefe, würde sie gar nicht erst ankommen, sondern auf halbem Wege in den Fluss austreten und mit ihrer Süße die Fische füttern. Und im Sudhaus selbst – wo einst geräuschvoll die riesigen Kupferkessel dampften, schäumten und brodelten, wo der flüssige Sud zu Zucker granulierte – ist es still, bis auf das Scharren und Fiepen von Geschöpfen, die jetzt ihre Nester in den leeren Kesseln haben. Und so viele Ratten! Und keine kleinen Jungs, die ihnen Fallen stellen. Sieh nur, wie frech sie den einstmals sauberen Boden des Sudhauses verunreinigen.

    Schau dir im Vorübergehen den grauen Stein des Kalkofens an – rissig und halb von Pflanzen verdeckt. Aber halte dir vor dem Gestank die Nase zu, wedele mit den Händen, um die Fliegen zu verscheuchen, und wende unbedingt den Blick ab, nun da wir an dem zerstörten Negerdorf vorbeikommen.
    Das Tor, das die Auffahrt zum Herrenhaus bewacht, hängt zerbrochen in den Angeln. Das Wachhäuschen steht leer. Doch als wir uns den Stallungen nähern, hören wir Gelächter. Byron sitzt vor der Tür und spielt mit Joseph Murmeln. Beide hocken auf winzigen dreibeinigen Schemeln; die beiden groß gewachsenen Männer haben die Knie bis zu den Ohren angezogen, während sie dem Lauf der Murmeln zusehen.
    Lass uns rasch weitergehen, um Molly zu suchen, die, die Arme vor dem Bauch verschränkt, das graue Kopftuch seitlich verrutscht, in der Küchentür auf ihrem Stuhl döst. Wir brauchen nicht auf Zehenspitzen zu schleichen, denn nichts würde sie wecken. Jetzt steigen wir die sechs schmalen Stufen hinan, die den weiten Abstand von der Küche zum Herrenhaus überbrücken.
    Dort im Speisesaal sitzt, einen Ellenbogen lässig auf den Esstisch gestützt, Robert Goodwin und untersucht müßig das getrübte Silber seines Messers. Während am anderen Ende des lang gestreckten Möbelstücks seine Frau Caroline sitzt, so aufrecht, wie die Rückenlehne ihres Stuhles es erzwingt. Er zählt ihr die Instruktionen auf, die sie bei ihrer Ankunft in England zu beherzigen hätten, zusammengefasst in dem Brief, den er zuletzt von seinem Papa erhalten hat. Sein Vater rate dazu, statt die Post- oder Eilkutsche zu benutzen, lieber einen Zweispänner zu mieten, um nach Chesterfield zu gelangen. Caroline am anderen Ende der Tafel wiederum erzählt ihm mit ausladenden Gesten und schrillem Gekicher die Einzelheiten der letzten Schiffsreise, die sie vor all den Jahren unternommen hat.

    Und deine eigene Erzählerin muss dir berichten – denn

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