Das lange Lied eines Lebens
Krähen aus einem Feld verscheuchen. Für einige aber war es tatsächlich eine stille Nacht, denn ein alter Neger, der unbeweglich an seinem Triangel saß, sah aus, als schlafe er.
»Meine Liebe, jedermann weiß, dass diese Sklavenmusikanten im Schlaf besser spielen als in wachem Zustand«, hatte Elizabeth Wyndham von Prosperity gemeint, ehe sie ihre Augen zu ihrem Mann hin verdrehte, ohne auch nur die geringsten Bedenken ob ihres Tadels zu hegen. Charles Wyndham fügte hinzu, wenn sie das nächste Mal Musiker brauche, solle sie es ihn wissen lassen, er werde dafür sorgen, dass eine der Brigadekapellen aus der nahe gelegenen Kaserne käme, oder sich erkundigen, ob ein Marine- oder Handelsschiff im Hafen liege, das ausgezeichnete Musiker zur Verfügung stellen könne. »Nigger können keine zivilisierte Musik spielen«, erklärte er ihr.
»Einige spielen ein bisschen nach Gehör«, sagte Tam Dewar. Der Aufseher, der sich herausgeputzt und seine wenigen Haare so an den Schädel geklatscht hatte, als wären sie mit der Schreibfeder gezogen, hatte die Bemerkung als Trost gemeint.
Sein Lächeln, auch wenn es liebenswürdig sein sollte, erinnerte Caroline an ihre graue Stute, wenn die ihre langen braunen Zähne bleckte.
»Aber sie kennen den Unterschied zwischen Kreuzen und B nicht. Darin sind sie wie kleine Kinder«, lautete die Dreigroschenweisheit der mageren Herrin von Windsor Hall, Evelyn Sadler, zu diesem Thema.
»Ich habe schon Schlimmeres gehört«, setzte ihr Mann George hinzu.Woraufhin zwar der Wortwechsel ein Ende hatte, nicht aber der Krawall, den die Neger machten. Und als der Sonnenuntergang Carolines aufwendige Saaldekoration nicht länger in den Schatten stellte, waren sich die Gäste, die ihre Plätze zum Abendessen einnahmen, alle darin einig, dass die Vielzahl der Kerzen den Saal in ein ganz zauberhaftes Licht tauchte … wenngleich sie zu viel Hitze abgaben.
Godfrey klatschte in die Hände zum Zeichen, dass das Essen aufgetragen werden sollte. Als keiner von seinen elenden Jungen aus der Küche auftauchte, stellte er sich in die Tür und brüllte wie ein Marktschreier: »Byron, bring das Essen, mach schon. Hörst du nicht, dass ich in die Hände klatsche?« Für Elizabeth Wyndham war dies Grund genug, wieder die Augen zu verdrehen. Doch schon bald danach waren sämtliche Gerichte – ein köstlich aussehender gekochter Truthahn, ein Schinken, eine Platte mit fetten Perlhühnern, mehrere Schildkröten und geschmorte Enten, Tauben- und Hammelfleischpasteten mit annehmbar aussehendem Teigdeckel sowie reichlich buntes Obst – auf dem Tisch aufgereiht.
Vielleicht lehnte Henry Barrett sich auf seinem Stuhl zurück, band sich die Serviette unters Kinn und begann mit dem, was er für Konversation hielt, was indes für alle anderen Ohren nichts anderes als ein langweiliger Sermon war: »Ich nehme an, Sie haben es alle schon gehört. Die Neger haben es sich in den Kopf gesetzt, dass der König ihnen die Freiheit geschenkt hat. Einige meinen, es könnte Ärger geben.«
Vielleicht schlug Carolines Bruder John vor, er möge doch mit diesem heiklen Thema warten, bis die Damen den Raum verlassen hatten. Und vielleicht stimmte er ihm, nachdem er ein ganzes Glas Rotwein ausgeschlürft hatte, mit einem »Ganz recht, ganz recht« zu, ehe er so lange mit seiner Rede fortfuhr, bis einige dicke Scheiben Schinken, die er sich in den geschwätzigen Mund gestopft hatte, eine Pause eintreten ließen. »Die glauben, wenn sie erst einmal frei sind, stehen nur noch wir Pflanzer zwischen ihnen und dem Himmel auf Erden. Was halten Sie davon, Howarth? Die Prediger haben ihnen den Floh ins Ohr gesetzt, sie wären genauso viel wert wie die Weißen. Baptisten. Das ist doch nur eine Bande von … Aber in Gegenwart von Damen sagen wir das lieber nicht, was, Howarth? Wenn’s Ärger gibt – ich bin gerüstet. Gute Gelegenheit, es diesen Niggern mal zu zeigen …«
Vielleicht verschüttete Molly, als sie einen Platz auf dem Tisch suchte, wo sie die Terrine abstellen konnte, den größten Teil der Gemüsesuppe auf dem Fußboden. Und vielleicht flüsterte Evelyn Sadler ihrem Mann ins Ohr: »Ach nein, nicht schon wieder Truthahn.« Doch nichts, nein, nichts, gar nichts würde Caroline Mortimer diesen herbeigesehnten Abend verderben. Nicht einmal George Sadler, der, als den Musikern befohlen wurde, den Saal zu verlassen, und der alte Neger über einen Stuhl stolperte, zur allgemeinen Erheiterung die geistreiche Bemerkung von sich gab:
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