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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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meine Missus beleidigen«, sagte Clara. Vor lauter Verärgerung erhob sie sich von ihrem Stuhl, sodass July sich schnell darauf setzte. July kreuzte die Arme vor der Brust und stemmte, um sich nicht wegdrängen zu lassen, die Füße fest wie eine Pfahlwurzel in den Boden. Clara war noch ungehaltener als zuvor und fauchte ruppig wie ein Waschweib: »Und deine Missus hat ’nen dicken, fetten Arsch.« Und ach, wie gern hätte July die Goldknöpfe an Claras Weste gehabt, die bei dem Gerangel aufblitzten. Vielleicht hätte sie einen davon herausgerupft oder mit den Zähnen abgebissen, wenn nicht gerade Byron hereingerannt wäre und gesagt hätte: »Erster Gang is’ fertig. Mr Godfrey sagt, sollst kommen.«
    Trotz all der Kerzen, die die Gruppe der Diener beleuchteten, als sie den Saal betraten, schenkte keiner der Tischgäste, auch nicht Caroline Mortimer, dem Defilee der freundlichen Plünderer, die damit begannen, die Teller abzutragen, die geringste Aufmerksamkeit. Godfrey stand schweigend an der Tafel und ordnete mit schwungvollen Gebärden an, was wohin gebracht werden sollte. Nur das Obst in der Mitte der Tafel ließ er stehen, und nachdem er zwei Käseplatten dazugestellt hatte, verbeugte er sich und entfernte sich rückwärts aus dem Saal. (Vielleicht, geneigter Leser, schlug er auch Purzelbäume oder sprang in die Höhe und klappte die Hacken zusammen, doch darüber hätte
niemand zu berichten gewusst, denn niemand hat ihn wirklich beobachtet.)
    Nachdem das Festessen von jenem Ehrentisch im Speisesaal fortgetragen war, wurde es auf einem Katzentisch ausgebreitet, der im Hof hinter der Küche auf vier großen Steinen ruhte, bis dieser behelfsmäßige Tisch – der sich unter dem Gewicht der Speisen bog – mit einem fünften Stein abgestützt werden musste, bis er dann schließlich doch noch in der Mitte durchbrach. Und wieder verschüttete Molly, als sie nach einem Platz suchte, wo sie die Terrine abstellen konnte, die Suppe – diesmal die Schildkrötensuppe – auf dem Fußboden.
    Godfrey, der sich darauf freute, sein Glas endlich mit einem großen Quantum Sorgenbrecher füllen zu können, sog an den Zähnen, als Giles, James und zwei der Musikanten – die, völlig benommen vom Rum, vor sich hin lallten, dass sie bald freie Männer wären – seine längst geleerten Flaschen kreisen ließen. Godfrey rief July zu sich: »Kannste Byron mitnehmen und uns Rum besorgen?« July, die sich die Backen mit Taubenpastete vollgestopft hatte, nickte und rannte gleich los. Godfrey rief ihr nach: »Oder was du sonst kriegen kannst. Komm bloß nicht mit leeren Händen zurück. Haste gehört?«
    Gewöhnlich führte July ihre Diebereien im Speisesaal aus, wenn der Raum ganz schummrig war, weil dann nur noch der Messingkandelaber auf dem Tisch und die beiden Kerzenständer auf der Anrichte brannten und ihr Massa und ihre Missus schweigend auf ihrem Essen herumkauten. Da der Getränkevorrat des Massas aus Anlass des großen Festmahls nicht verschlossen war, hatte July vor, sich wie ein unsichtbares Gespenst ans Kabinett zu schleichen, das die Flaschen enthielt. Doch die vielen Kerzen leuchteten an diesem Abend jede dunkle Ecke aus. Sie musste vorsichtig zu Werke gehen, sich eng wie das Tapetenmuster an die Wand drücken. Nach einem Schritt blieb sie reglos stehen, denn sie glaubte schon, ihre Missus hätte sie entdeckt, und eine
flackernde Kerzenflamme sengte die Spitze ihres Kopftuchs an. Aber ihre Missus hatte nur den Kopf in die Hand gestützt, und von der Anstrengung, dem Gerede des langweiligen Alten von Unity zu folgen, fielen ihr die Lider zu. Ihr Massa schlug mit einem Löffel müßig gegen den leeren Dekanter, der vor ihm stand, obwohl er zu dem Geschwätz des Mannes fortwährend nickte. Dagegen schenkten die anderen Gäste dem Alten überhaupt keine Beachtung und fuhren fort zu essen und zu trinken, soviel sie nur konnten. Bis auf einen, denn wenn Julys Augen richtig sahen, schlief der Massa von Windsor Hall tief und fest.
    Die Geigenspieler, die jetzt auf der Versammlung der Diener im Hof musizierten, begannen aufzuspielen. Das war nun kein Geschepper mehr und keine unkenntliche Melodie – die Klänge einer süßen Weise wehten zum offenen Fenster herein wie ein Flüstern. Denn wie die meisten Sklavengeiger belustigte es sie, für weiße Ohren schlecht zu spielen.
    Patience hatte July versprochen, wenn die Geiger eine schöne Quadrille anstimmten, würde sie ihr sämtliche Schritte der Quadrille der Lanzenreiter

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