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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Seidenstrümpfe, ihr Schultertuch und ihre Holzschachtel, die alles enthielt, was sie benötigte, um ihr Haar zu richten, falls ihre Locken in der feuchten Luft krisselig wurden.
    Clara war nicht nur Zofe, sie war auch eine Terzerone. Claras Mama war eine ansehnliche Mulattin und Haushälterin ihres Papas, eines Matrosen aus Schottland, gewesen. Ihr Papa war, kurz bevor er sie und ihre Mama freilassen konnte, gestorben. Die Papiere waren bereits aufgesetzt gewesen; sie bewahrt sie in einer Schachtel auf, falls du nachschauen magst. Obwohl sie also noch immer Sklavin war, sah ihre Haut an manchen Tagen, bei mancher Beleuchtung weißer aus als die Haut ihrer Missus. Und wie hochmütig sie war! Wenn man ihr befahl, im Ponywagen zu fahren, eingeklemmt zwischen dem rumgetränkten Giles und dem einarmigen Nigger Bailey, dann kreischte sie und sank in Ohnmacht, und man musste sie mit Riechsalz wieder zu sich bringen. Clara hatte darauf bestanden, ihr eigenes Mädchen Mercy mitzubringen (das war eine dumme Negerin, die, wenn niemand da war, der es sah, noch am Daumen lutschte, aber was sollte Clara machen, sie war ihr nun einmal zugewiesen worden). Mercy sollte ihr helfen, die Sachen ihrer Missus zu tragen, und, falls Clara wieder in Ohnmacht sank, Giles anbrüllen: »Pass auf, was du sagst!«
    Unter all den Bediensteten, die aus der Umgegend gekommen waren – darunter die beiden von Windsor Hall, Frederick von Unity,Tam Dewars Haushälterin von weiter unten auf dem Weg –, war es Clara, von der July die Augen nicht abwenden konnte.
    »Gefällt dir mein Kleid oder mein hübsches helles Gesicht, dass de mich so anstarrst?«, fragte Clara sie.
    Auf Claras Worte hin zuckte July lässig mit den Schultern, fuhr jedoch fort, sie anzugaffen, als sei sie eine blaue Blume, die an einem Busch wächst, der sonst nur gelbe Blüten trägt. Denn Claras Nasenspitze wies zwar nach oben wie die einer Weißen –
doch ganz gleich, ob sie an diesem schmalen Gesichtsmerkmal entlang verächtlich auf July herabblickte, die schwarzen Innenseiten ihrer Nasenlöcher waren noch sichtbar. Ihre Lippen waren so dünn, dass sie aussahen, als seien sie ihr mit erhabenem Flachstich aufs Gesicht gestickt. Und wenn sie sich auf einem Sessel niederließ, geschah es mit der Vornehmheit einer Missus, die auf einem feingliedrigen Pferd im Damensattel sitzt. July trug ihre besten Kleider – ein neues blaues Kopftuch und ihre hellblaue Baumwollbluse, die mit Spitze verziert war und mit den beiden Perlmuttknöpfen, welche erst kürzlich vom Kleid ihrer Missus abgefallen waren –, doch im Schatten von Claras würdevoller Erscheinung kam sie sich zerfetzt vor wie ein halb gerupfter Truthahn.
    Es war ein Gedanke, der July entschlüpfte, als sie Clara ins stolze Gesicht rief: »Meine Missus hat mir Stoff geschenkt, dass ich mir ’n neues Kleid machen kann.«
    »Abgelegte Kleider?«, fragte Clara müde. »Ich ertrag’s nicht, in abgelegten Kleidern rumzulaufen.«
    Der Stoff, den July bekommen hatte, war in der Tat ein ausgedientes Kleidungsstück ihrer Missus; ein abgetragenes Baumwollkleid, das sich von Flaschengrün zu fahlem Grau verfärbt hatte. Und da es einst ihre Missus in Gänze umhüllt hatte, dehnte sich das aufgetrennte und herausgezogene hässliche Gewebe meterweit!
    »Nein«, gab July zurück, »’s is’ feinster weißer Musselin von ’nem Schiff aus England, das grad eingelaufen is’.«
    Der Laut, den Clara von sich gab, als sie an ihren Zähnen sog, war zart wie das Tschirpen eines Vögelchens. »Du sprichst nicht wahr«, meinte sie. »Dein Massa hat kein Geld nich’ für weißen Musselin für dich.«
    »Mein Massa hat ’nen Haufen Geld«, antwortete July.
    »Hab ich aber was andres gehört«, sagte Clara.
    »Is’ aber wahr«, sagte July. »Er stellt ’ne Menge Fässer Zucker her. Und se kommen aus der Stadt und kaufen. Und das ganze
Geld tut er in ’ne große Truhe. Er kann se kaum heben. Muss Mr Godfrey zu Hilfe rufen. Aber nicht mal zusammen können die beiden die Truhe tragen, so vollgehäuft is’ se mit Münzen.« July hielt inne, um Clara ins Gesicht zu blicken, und sah dort zwei spöttische grüne Augen, die sie anstarrten.
    »Du sprichst nicht wahr, was deine Missus trägt, is’ schlecht. Keine ehrenhafte weiße Missus trägt mit Streifen bedruckte Baumwolle«, sagte Clara und schnippte mit den Fingern, um July abzuschütteln.
    »Aber deine Missus hat ’n hässliches Gesicht«, entgegnete July.
    »Wie kannst du’s wagen und

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