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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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beibringen. Und was July jetzt hörte, war eine Quadrille. Aber die verwirrende Frage, welches ihre rechte Hand war und welches ihre linke, würde sicherlich vereiteln, dass July diesen Tanz wirklich beherrschte. Wenn sie das erst einmal gelernt hätte, würde sie die Schritte besser als Molly setzen können – denn mit ihrem einen Auge verlor Molly bei jeder Drehung ihren Partner; das vermasselte allen den Set. July sehnte sich danach, wieder zu den anderen zurückzukehren, bevor der Tanz vorbei wäre, denn Cupid, der alte Geiger, hatte ihr versprochen, dass sie sein Tamburin schlagen dürfe, außerdem verspürte sie Hunger auf mehr Pastete.
    Byron zischte »Miss July, biste da?« so laut zum Fenster herein, dass July schon fürchtete, Tam Dewar hätte es gehört. Denn plötzlich erklärte der Aufseher: »O nein. Mit den Negern hier werden wir keinen Ärger haben. Es gibt gute Neger, und
es gibt schlechte …« Obwohl Byron so unsichtbar war wie ein Schatten auf schwarzem Samt, hielt July den Atem an, dann winkte sie zum Fenster hinaus zum Zeichen, er solle still sein und warten.
    Schwärme von Nachtfaltern, angelockt von den nackten Flammen der Kerzen, fielen neben ihr auf die Holzplatte – versengt und noch schwelend, dufteten sie nach gebackenem Essen. Als der schwatzhafte Alte von Unity sagte: »Nun, ich hoffe, Sie haben recht, Mr Dewar …«, griff sich July eine Flasche von der Anrichte und reichte sie schnell zum Fenster hinaus. Eine weitere Flasche, die sie aufhob, war bereits leer. Sie schüttelte sie und stellte sie dann zurück. Zwei weitere jedoch, die noch gefüllt waren, segelten ebenfalls übers Fenstersims in Byrons winzige Hände.
    Nicht zu viele, und alle mussten geöffnet sein, so hatte Godfrey sie angewiesen, als er ihr diese kleine Betrügerei beigebracht hatte. Auf diese Weise wusste der Massa nie, wie viel seine Gäste getrunken hatten; und jede Diebstahlsbezichtigung wurde von ihm so zögerlich vorgebracht, dass Godfrey mit großen Augen die gut einstudierte Rolle des Beleidigten spielen konnte.
    July schüttelte noch eine Flasche – war das Glas so schwer, oder war sie noch voll? Sie hörte die Flüssigkeit schwappen und wollte die Flasche eben aus dem Fenster reichen, als der schlafende Mann plötzlich aufwachte. Er sah sie mit einem so scharfen Blick an, dass July das Gefühl hatte, als bohre sich ein Finger in ihre Stirn.
    »Was tust du da?«, rief er. In der Hoffnung, er würde sie für eines der Wandporträts halten, stand July so still, wie ihr beschleunigter Atem es ihr erlaubte.
    »Was tust du da?«, fragte er wieder, und die ganze Tischgesellschaft drehte sich zu der Stelle um, wo July stand. July trat aus dem dürftigen Schatten und hielt die Flasche so, als wolle sie den Gästen nachschenken.

    »Ach, Marguerite, Gott sei Dank«, sagte ihre Missus. »Bringst du den zweiten Gang? Wir warten schon eine halbe Ewigkeit. «
    »Ja, wo bleibt eigentlich der zweite Gang?«, fragte ihr Massa. »Sag Godfrey, die Damen warten schon lange genug auf ihre Süßspeise.«
    Aber der Mann von Windsor Hall sagte: »Sehen Sie denn nicht, dass sie Sie bestiehlt?«
    Da brach am Tisch ein Streit aus. July wusste, dass sie der Anlass war, aber sie konnte nicht hören, was die Weißen über sie sagten, denn ein Getöse, wie wenn eine Woge über Kiesel brandet, füllte ihre Ohren. Ihre Missus errötete und war verlegen. Ihr Massa verdrehte die Augen und war aufgebracht.Tam Dewar sah zum Fenster und schickte sich an, von seinem Stuhl aufzustehen.
    »Komm her, Mädchen«, sagte jemand. Aber wer? July war sich nicht sicher. War es ihre Missus? Sollte sie auf die Knie fallen und darum betteln, nicht ausgepeitscht zu werden?
    »Ich hab gesagt, komm her.« Es war der Mann von Windsor Hall. Er, der eben erwacht war und auf ihr Verbrechen hingewiesen hatte. Mit zorniger Geste winkte er sie zu sich, während ihre Missus sie mit einem Nicken aufforderte, ihm zu gehorchen. July wollte wegrennen und sich bei der grauen Stute in den Stallungen verstecken. »Mr Godfrey«, gellte ein Schrei in ihrem Kopf, »Mr Godfrey, kommen Sie und holen Sie mich hier raus.«
    »Komm jetzt her, Niggerin.« Wieder der Befehl in gereiztem Ton. July war blind vor Tränen, und sie machte so kleine Schritte, wie ihre Füße es ihr erlaubten. Schließlich stand sie neben dem Mann. Die Alkoholfahne, die er ihr ins Gesicht blies, verursachte ihr Schwindel. Er fragte: »Was hast du da getrieben? « Dann, als sein übellauniger Speichel auf

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