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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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herumtratschen, dass ein schmutziges Bettlaken auf meinem Tisch gelegen hat während dieses ganzen grässlichen Abendessens.«

NEUNTES KAPITEL
    Manchmal bringt mich mein Sohn mit all seiner Bildung und Gelehrsamkeit so durcheinander, dass ich nicht weiß, ob ich recht habe oder nicht.
    »Aber das ist doch die Zeit des Baptistenkrieges, Mutter«, sagte er zu mir. »Der Abend des abgebrochenen Abendessens von Caroline Mortimer in deiner Geschichte ist die Zeit des Weihnachtsaufstands, mit dem der ganze Ärger angefangen hat.« Und dann überhäufte er mich mit strengen Anweisungen.
    Ich solle erzählen, sagte er, ob das Abbrennen der Plantagen in Salt Spring begonnen habe, wo der Negertreiber sich geweigert hatte, die eigene Frau auszupeitschen. Oder ob in Kensington Pen, oben bei Maroon Town. Ich müsse alles aufschreiben, was ich über Sam Sharpe, den Anführer des Aufstands, wisse – von seinem Charakter bis zu seinem Aussehen. Ich solle erklären, wie es dazu gekommen war, dass alle Neger geglaubt hatten, sie seien vom König von England freigesetzt worden; dass sie einander gelobt hatten, keine Arbeit mehr zu leisten, bis diese Freiheit auch fühlbar geworden sei; und dass die Neger geschworen hatten, ihre Freiheit, sollte sie ihnen nicht freiwillig gewährt werden, dem diebischen Griff der Plantagenbesitzer gewaltsam zu entreißen. Und ich dürfe nicht versäumen zu erwähnen, wie der Lärm der Muschelhörner auf Old Montpelier und Shettlewood Pen die Miliz in Angst und Schrecken versetzt habe.
    Viele, viele Anweisungen kamen meinem Sohn leichthin über die Lippen – zu viele, um meine schwarze Tinte darauf zu verschwenden –, bis ich ihm sagte: »Sei still«, denn von seinen Forderungen tat mir der Kopf weh.

    Nun ist es nicht etwa so, geneigter Leser, dass deine Erzählerin träge ist und trödelt, wenn’s darum geht, eine Arbeit auszuführen. Nein. Dass ich über diese wahren Begebenheiten so wenig zu berichten habe, liegt in der Natur jener alten Zeiten begründet; denn Neuigkeiten verbreiteten sich damals nicht so schnell wie heutzutage. Die meisten davon wurden auf dem Atem zerlumpter kleiner Jungen übermittelt, die mit ihrer Geschichte so weit gerannt waren, dass sie, wenn man ihnen Yams zu essen gab, Mühe hatten, sich an sie zu erinnern. Oder sie wurden mit dem Wind des Hörensagens weitergereicht – jener Flüsterpost von Ohr zu Ohr, die die ganze Insel versorgte.
    In diesen moderneren Zeiten jedoch könnte ich an meinem Schreibtisch einen Brief verfassen, und jemand, der zu weit entfernt wohnt, als dass man zu ihm rennen könnte, wird ihn binnen einer Woche lesen. Und stell dir vor, ein Gerät namens Telefon kann deine Worte in derselben Zeit, die du brauchst, um sie über die Lippen zu bringen, zu den Ohren in einem anderen Haushalt tragen. Mein Sohn behauptet, das Telefon mache es sogar möglich, sich mit jemandem in einem anderen Distrikt zu unterhalten – du bist in Falmouth, aber was du sagst, ruft Erstaunen in Kingston hervor. Aber das ist eindeutig ein Wunschtraum, der dadurch, dass er Lillian herbeiruft, damit sie mir sagt, dass es sich tatsächlich so verhält, auch nicht wahrer wird. Hätte es eine derartige Erfindung jedoch zur Zeit des Baptistenkrieges (wie mein Sohn ihn nennt) gegeben, ich hätte bestimmt gewusst, was allerorten vor sich ging. Es gab sie jedoch nicht.
    Wenn du also einen vollständigeren Bericht darüber wünschst, was damals geschah, könntest du vielleicht die Streitschrift lesen, die mein Sohn mir kürzlich mitgebracht hat.Verfasst wurde sie von einem Baptistenpastor namens George Dovaston im Jahre 1832, und sie trägt den Titel Facts and Documents connected with the Great Slave Rebellion in Jamaica .

    Auch wenn ich nichts von dem, was auf des Pastors Seiten geschrieben steht, mit eigenen Augen gesehen habe, und nichts von dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, im Bericht dieses Mannes auftaucht, so versichert mir mein Sohn doch, dass seine Darstellung sehr zuverlässig sei. Das Pamphlet des Pflanzers John Hoskin jedoch, das hier nicht. Denn der Mann ist ein Narr, der nur den Söhnen Hams und den Männern Gottes Schuld an dem Vorgefallenen gibt. Keiner meiner Leser sollte jene Zeit durch seine Linse betrachten. Ich kenne den Charakter dieses Menschenschlags; vor allem, was nicht zu seinem Vorteil ist, würde er die Augen verschließen. Conflict and change. A view from the great house of slaves, slavery and the British Empire , so heißt das Pamphlet, vor

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