Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
Vom Netzwerk:
dum. Nein, es ging: De dum, de dum, la, la. Hielt er ihre Hand? Hatte Nimrod ihre Hand in seiner? Sie rannten durchs Haus,
und sie konnte nicht mit ihm Schritt halten, denn die Wände stürzten auf sie zu und zogen sich wieder zurück.
    Aber das Bett war kühl und weich. Sie ließ sich darauffallen und wollte schlafen. Aber. Aber. Das war ja das Zimmer des Massas. Das große, große Bett des Massas. Nein, nein, nein, der Massa würde sie nicht in seinem Bett wollen. Er hasste den Geruch von Niggern. Der Massa würde sie auspeitschen lassen. »Massa mag uns nicht in seinem Bett«, sagte July zu Nimrod.
    Und Nimrod sagte: »’s gibt hier keine weißen Bakkras mehr – wir ham se von der Insel verjagt. Jetzt herrscht der schwarze Mann.« Und die Art, wie er sie mit seinem verschlagenen Auge anblickte, war sehr, sehr, sehr lustig.
    Die Kissen waren weich, doch als July die Augen schloss, begann sie zu fliegen. Hinauf zur Decke flog sie, dann schoss sie herab, schwenkte rasch zur Seite, stieß wieder nach unten. »Ich flieg im Zimmer rum, Mr Nimrod. Bin ’n Vogel.« Doch als sie die Augen aufschlug, lag sie wieder auf dem Bett.
    Und da war Nimrod, stützte sich auf einen Ellenbogen und sagte: »Bist aber wirklich hübsch, Miss July.«
    Das verursachte ihr einen Schluckauf. Dann sagte sie: » Willste mich heiraten, Mr Nimrod?« Und sein Blick war so ernst, dass sie lachen musste, besonders als Nimrod sich über sie beugte und seine Lippen auf ihre drückte.
    July wurde nicht davon wach, dass Nimrod ihr seinen übelriechenden Atem ins Gesicht schnarchte. Auch nicht von dem ständigen Bocken des paarhufigen Esels, der in ihrem Kopf eingepfercht war und dauernd gegen ihren Schädel trat, um freizukommen. Nein. Was July plötzlich aufschreckte, war die Stimme des Massas, der rief: »Ach, Caroline, lass mich um Himmels willen in Ruhe. Du bist doch zurück. Was willst du mehr?«
    Ein Federkissen unter ihrem Kopf, morgendliches Sonnenlicht, das durch die Fensterläden fiel, eine blaue Schale auf dem Nachttisch, eine Uhr, ein Bettvorleger, eine Kommode – sie lag
ja noch immer, ganz unbefugt, in des Massas Bett! Sie öffnete die Lippen, um Nimrod zu wecken, aber ihr Mund war trocken wie ein Mehlfass. »Mr Nimrod«, krächzte sie, denn ihre Stimme war rau wie die eines Teufels. Sie musste ihn wachrütteln.
    Unsanft aus dem Schlaf gerissen, heftete er missgelaunt beide Augen auf sie, ehe er aufhorchte und mit einem Mal alles begriff. Da sprangen die beiden Eindringlinge flink wie Flügelwesen aus dem Bett und huschten darunter. In diesem Augenblick stieß der Massa die Tür auf und schrie: »Caroline, bitte, bitte, hast du überhaupt eine Ahnung, wie ernst die Vorfälle sind? Oh … oh … oh … Halt den Mund!« Und damit schlug er die Tür hinter sich zu.
    Zwei Leichen hätten nicht regloser daliegen können als Nimrod und July unter dem Bett. Während der Massa im Zimmer hin und her ging – von seinen Stiefeln fiel Schlamm zu Boden und wurde von diesem Auf und Ab und Auf und Ab zu Staub zertreten –, lagen sie leblos, aber mit geschärften Sinnen da wie Entflohene, auf die Jagd gemacht wird.
    Die ganze Zeit über murmelte der Massa eine Wehklage aus verstümmelten Worten vor sich hin. Dieses Gebrumm, das mitunter von einem Aufschrei wie »Es ist unerträglich!« oder »Wie konnten sie nur?« unterbrochen wurde, wollte kein Ende nehmen. Als der Massa plötzlich stehen blieb, fürchtete sich July davor, Nimrod anzuschauen, denn sie wollte in seinen Augen keine Angst vor dieser vertrackten Lage entdecken. Der Massa schrammte die Beine eines Stuhls über den Boden, dann ließ er sich, genau vor ihnen, schwerfällig nieder. Und Nimrod gelang es mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seiner Schulter, July zu signalisieren, dass er nicht verstand, was der Massa da tat.
    Gefangen in dieser erdrückenden Stille, begann July sich Sorgen zu machen – wie lange würden sie sich hier versteckt halten müssen? Sie musste pinkeln. Aber der Massa rührte sich nicht.Von den Fensterläden wanderten Zentimeter um Zentimeter
grelle Lichtstreifen über den Fußboden auf sie zu. Und noch immer saß der Massa da – bald war sein Atem schwer von Seufzern, bald flach und schnell, als würde er verfolgt.
    Ein Gecko kroch über Nimrods und Julys Köpfe hinweg. Und noch immer saß der Massa da. Er bewegte ein wenig den linken Fuß, dann schlug er ein Bein über das andere, bevor er sie wieder auseinanderspreizte. Der Gecko kehrte zurück und kroch in

Weitere Kostenlose Bücher