Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
Vom Netzwerk:
Höker zu sehen gewesen. Keine schwarzen Gesichter, die den weißen Massas lärmend zuriefen, sie sollten ihr Guinea-Korn kaufen und ihr Indisches Korn, ihre Nüsse, Kokosnusskuchen, Bündel Brennholz, ihr Zuckerrohr, ihre bunten Bänder und einfachen Töpfe, ihre Jakobsfrüchte, Süßkartoffeln, Yams, Beeren und Bohnen. Nicht einmal die seltsame alte Frau, die sonst mit einem Truthahn auf dem Kopf an der Ecke der Hauptstraße saß, war an jenem Tag zu sehen gewesen, und die thronte doch immer da und verwelkte unter ihrem preisgekrönten Truthahn, gleichviel in welcher Jahreszeit.
    Der schwarze Schmied auf dem Exerzierplatz bei den Küfern – der, der selbst drei Sklaven hielt – hatte seine Werkstatt geschlossen und mit Kreide »Bin meine Schwester besuchen« an die Tür geschrieben. Das Geschäft mit den teuren Konfitüren, die Trockenguthandlung und sämtliche Wäschereien der Stadt lagen verlassen da. Auf den Feuern am Kai köchelte kein Essen, und es gab keine Grüppchen von Negern, die laut und geschwätzig ihren Proviant kauten.
    Vor dem Gerichtsgebäude sah man keine rastlosen Menschenmengen, die sich begierig an den Türen drängten, noch hörte man die scharfen Rufe, die den Kauf und Verkauf der unglücklichen Menschenernte begleiteten, die dort gewöhnlich den Besitzer wechselte. Auf dem Platz waren keine zerlumpten Kinder, die Hunde und Hühner quälten. Keine Weißen, die mit Strohhüten und Hauben die Straße entlanggingen und sorgsam darauf achteten, ihre feinen Schuhe vor einer Wasserlache oder
vor Kot zu schützen, während sie die Nase von den Niggern wegdrehten. Ihre Haussklaven, die für sie feilschten oder die, wenn sie ihren Besitzern hinterhertrippelten, wegen der hohen Preise ausgeschimpft wurden, waren nirgends zu finden.
    Nicht einmal die drei farbigen Mädchen, die in der Pension in der King Street arbeiteten, saßen an ihrem offenen Fenster und lachten über die hässlichen Hüte, die an ihnen vorüberspazierten.
    All dieses Nichtvorhandensein dämpfte die üblicherweise so betriebsame Stadt mit einer beunruhigenden Düsterkeit, die der Aufseher – vielleicht sogar John Howarth selbst – um die eleganten Straßen drapiert glaubte wie einen schwarzen Samtumhang.
    Sie kamen aus dem gesamten Distrikt, von Plantagen, Gütern und Pferchen, aus Kirchspielen und aus der Stadt, die Regulären der Trelawny Interior Militia unter Captain Shearers erfahrenem Kommando. Die Pistolen der weißen Männer waren entsichert, Schießpulver im Überfluss vorhanden und trocken. Auf dem Castle Estate brannten aufständische Sklaven die Bagasselager nieder. Seid gewarnt, wurde den Weißen gesagt, es sind eine ganze Menge – vierzig, fünfzig, die Berichte waren nicht eindeutig. Ein- oder zweihundert, sagte jemand, sie seien mit gestohlenen Musketen, Jagdflinten, Stutzen und Pistolen bewaffnet und schrien: »Krieg! Krieg! Krieg!« Einige erzählten, die aufständischen Nigger seien von Montego Bay gekommen, wo sie eine ganze Kaserne erobert und Waffen erbeutet hätten. Unsinn, hohles Geschwätz, meinte Captain Shearer, so raffiniert sind Neger nie und nimmer.
    Die an die Miliz ausgegebenen Befehle lauteten dahin gehend, die Schuldigen – sämtliche Rädelsführer der Brandstifter – gnadenlos zu bestrafen. Diejenigen, die sich ergaben – falls sie sich auslieferten und darum bettelten, bettelten, bettelten –, würden für ihre Verbrechen vielleicht die huldvolle Begnadigung
Seiner Majestät empfangen. Doch allen Schwarzen, die in ihrer Dummheit ausharrten, drohe der sichere Tod.
    Die vierzig weißen Männer der Trelawny Interior Militia ritten in Reih und Glied auf das ebene Land des Castle Estate. Unter ihnen waren Pflanzer, deren Familien aus Canterbury, Bloomsbury und Camden Town stammten; Anwälte, die Bristol, Whitstable und Fife ihr Zuhause nannten; Aufseher aus Galway, Great Yarmouth, Cardiff und Bow; Pastoren und Vikare, deren Familien in Exeter und Norwich, in St Austell und Sheffield Ängste um sie ausstanden; Buchhalter, die geradewegs den Mühlen Lancashires, den Bergwerken Glamorgans und einem Irrenhaus in Glasgow entlaufen waren. Sie alle näherten sich der Plantage mit entschlossen vorgerecktem Kinn.
    Bald sahen sie sich lodernden Flammen gegenüber – ein Bagasselager brannte mit derselben Geschwindigkeit nieder, mit der ein Drache Zunder leckt. Der bittere Rauch, der von den strohtrockenen Zuckerrohrblättern aufstieg, hüllte sie ein und ließ sie fast ersticken und erblinden.

Weitere Kostenlose Bücher