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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Baptistengemeinde, Mr Bushell. Normalerweise hatte er blonde Haare und ein rosiges Gesicht, jetzt aber war der nackte hagere Körper des Mannes schwarz, denn er war über und über mit schleimigem Teer bestrichen. Und bei flüchtigem Hinschauen verliehen ihm die blutverschmierten Federn, die von Kopf bis Fuß auf seiner Haut zitterten, das Aussehen eines frisch ausgepeitschten Negers.

    Die beiden kleinen Söhne des Missionars standen in ihren gestreiften Nachthemden eng umschlungen in der offenen Tür des Hauses und waren über den Anblick, der sich ihnen bot, zu erstaunt, um zu weinen. Denn wie es schien, umkreisten den Schauplatz neun schlecht gekleidete, stämmige Weiber zu Pferde. Und eines dieser Weiber versuchte atemlos keuchend, ein Lasso über den sitzenden Mann zu werfen. Die Jungen rangen jedes Mal nach Luft, wenn die Seilschlinge wie eine Peitsche auf ihren Vater herabfuhr, bevor sie zu einem weiteren unbeholfenen Versuch, den Mann einzufangen, wieder eingerollt wurde. Schließlich gelang der Wurf, das Lasso zog sich zusammen und riss den Missionar um, der in einer Wolke aus Kies und Erde auf dem Boden aufschlug.
    Howarth sprang von seinem Pferd. Er rannte zu dem Missionar und streifte ihm das Seil über den Kopf, bevor er seinerseits über den Erdboden geschleift wurde. »Was geht hier vor?«, schrie Howarth die Reiterinnen an.
    Aber es war der Bass einer Männerstimme, der ihm antwortete: »Lassen Sie, Howarth. Er verdient nichts anderes. Der ganze Ärger mit den Sklaven hier ist sein Werk. Wir erteilen ihm eine Lehre. Das ist unsere Angelegenheit.«
    Die Frau des Missionars fiel ohnmächtig auf die Knie. Howarth blickte von einer Angreiferin zur anderen, und plötzlich ging ihm auf, dass auf den Pferden gar keine Weiber saßen, sondern weiße Männer, die sich als listenreiche Verkleidung Röcke, Leibchen und Hauben angezogen hatten.
    Zuvor waren Howarth und seine Kameraden vor dem Eingang zum Belvedere Pen an sechzehn toten Sklaven vorbeigekommen. »Der Gestank war schon aus der Ferne wahrzunehmen – nahe der Stelle selbst wurde er schier übermächtig«, berichtete einer seiner Begleiter später.
    Diese abgeschlachteten Sklaven, die, wie sich ebenfalls herausstellen sollte, von einer anderen Miliz aus gutem Grund erschossen worden waren, verwesten bereits seit ein paar Tagen in der
Sonne.Als Howarth auf die Leichen stieß, zerrten die Aaskrähen in einem zänkischen Sturmwind schwarzer Flügel an Sehnen, pickten an verkrustetem, eingetrocknetem Gedärm und nagten einen Schenkelknochen so blank, dass er schneeweiß aussah. Er verscheuchte die Vögel. Lenkte sein Pferd mitten in den Tumult, bis die Krähen mit Donnergetöse in die Luft stoben und sich nur noch ein schmutziger Schleier aus Fliegen und Maden an den Leichen gütlich tat. Die Diskussion in der Milizgruppe, wer die toten Neger beerdigen solle, endete damit, dass Howarth die Arbeit achselzuckend für unnötig erklärte. Sie ritten weiter und überließen es den gierigen Krähen, an die Stätte des Gemetzels zurückzukehren.
    Auf halbem Wege zwischen der Stadt und Shepperton Pen waren sie an einer nackten Sklavin vorbeigekommen, die mit den Armen an einen Kokosnussbaum gebunden war. Da ihre Füße den Boden nicht berührten, drehte sie sich langsam in der Sonnenhitze wie ein saftiges Stück Fleisch an einem Spieß, und die Krähen hackten nach ihr, um von der Nahrung zu kosten. Wenn sie nach ihnen spuckte und trat, um sie zu verscheuchen, drehte sie sich nur noch schneller. Bevor man sie festband, war sie geschlagen worden – mit einem Stock oder einer kurzen Reitgerte –, denn ihre staubige schwarze Haut war stellenweise aufgeplatzt und wies ein Fleckenmuster auf, als würde getüpfeltes Sonnenlicht auf ihr spielen. John Howarth runzelte kurz die Stirn und dachte darüber nach, was für ein Verbrechen diese Negerin wohl begangen haben musste, dass man ihr solch eine öffentliche Züchtigung zuteilwerden ließ. Dann ritt er weiter.
    Als er die Strafe sah, die einen Negerjungen ereilt hatte, an dem sie vorbeikamen, schüttelte John Howarth leicht missbilligend den Kopf. Der kleine Junge hatte den aufständischen Sklaven als Botenjunge gedient – ein Verbrechen, daran gab es für Howarth keinen Zweifel. Danach aber war der Junge in ein Fass gesperrt worden, das von mehr als fünfundzwanzig langen
Nägeln durchbohrt war, die man in die Rundung gehämmert hatte. Und dann hatte man den Jungen, der noch immer in dem stacheligen Gefäß steckte,

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