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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Fenster des Herrenhauses versteckte. »Dein Wurm is’ nich’ verkauft worden, Miss Kitty«, hatte Rose gesagt. »Sie is’ hier und sieht Sonnenauf-und -untergang am selben Himmel wie du und ich.Willste dich in den Stock sperren lassen, nur um dich davon zu überzeugen? Denk nach, Miss Kitty, und spar dir dein Mitleid. Dein Wurm kannste auch so jederzeit sehen.«
    Und das traf zu. Kitty hatte July in den acht, neun Jahren, die vergangen waren, ein paar Mal zu Gesicht bekommen. Das erste Mal hatte sie, an die Fensterscheibe des Herrenhauses gepresst, das Mädchen gesehen, wie es, ein langes gelbes Band ums Handgelenk, an ein Tischbein angebunden war. Und einmal glaubte sie aus der Ferne erkannt zu haben, wie July einen Korb nasser Wäsche ins Haus schleppte. Und kürzlich, als Kitty auf dem Weg zum Sonntagsmarkt war, bildete sie sich ein, July gesichtet zu haben, wie sie mit einem langen Stock herumfuchtelte, um einige Hühner nach Hause zu scheuchen. Doch seit jenem Tag, als sie ihrer Tochter mit einer zarten rosa Blüte über die Wange gestreichelt hatte, war sie ihr nie mehr nahe genug gekommen, um sie berühren, mit ihr reden oder auch nur einen Blick mit ihr wechseln zu können.
    Ähnlich, wie es deiner Erzählerin mit dem Bügeln ihrer Unterröcke ergeht, gab es auf der Zuckerplantage mit Namen Amity viele Verrichtungen, die Kitty schwerfielen. Die Liste der Aufgaben zusammenzustellen, die sie angenehm fand, wäre ein viel, viel, viel kürzeres Unterfangen. Indes löste keine Arbeit so großes Unbehagen in Kitty aus wie die beklagenswerte Aufgabe des Düngens.
    Zuckerrohrstecklinge, wenn sie erst einmal in die abgezirkelten Löcher gepflanzt sind, die man zu diesem Zweck gegraben
hat, gehören zu den verwöhntesten Pflanzen der gesamten Karibik. Man muss sie füttern wie kleine Säuglinge, wenn sie in die Höhe schießen und jene Süße entwickeln sollen, um derentwillen man sie schätzt. Zu diesem Zweck wird aller Kot, der aus dem Hintern eines Tieres – ob Rind oder Maulesel – platscht, gehortet und gehütet wie ein dampfender Schatz. Jedes Jahr müssen Kitty und die gesamte erste Arbeitskolonne diesen Dünger über mehrere Monate hinweg von Hinterteil zu Steckling schaffen. Und ihn dort um das wachsende Zuckerrohr häufeln, damit sich die Pflanzen von all der übelriechenden Güte ernähren können.
    Etwas von dem Zeug wird im Pferch in Körbe geschaufelt, die einem Maultier rechts und links auf den Rücken geschlungen werden. Mit dieser Ladung trottet das Vieh, das von der Last, die es da trägt, nichts weiß, so fröhlich los wie mit jeder anderen. Doch der restliche Dung kommt in die aus Weide geflochtenen Mistkörbe – randvoll bis zum Überlaufen – , die dann zu den Zuckerrohrfeldern von Dover oder Virgo, sogar bis nach Scarlett Ponds befördert werden, und zwar so wie die meisten Lasten, die Sklaven schleppen müssen: auf dem Kopf. Das Gewicht bereitete Kitty keine Mühe, denn Kitty konnte sehr viel schwerere Bürden sehr viel weiter tragen. Aber der Geruch! Unsere weiße Missus würde schon nach einem Atemzug in Ohnmacht fallen. Doch als der Herrgott die Nase schuf, formte er ein kluges Organ; obwohl die Luft, die Kitty umgab, so pestilenzialisch geschwängert war, dass die Dünste ihr schon beim ersten Atemholen die Kehle abschnürten, genügten ein gewaltiges Husten und ein kräftiges Luftschnappen, und alles, egal ob es nun eigentlich gut oder schlecht roch, begann nach Scheiße zu stinken, und ihre Nase gewöhnte sich daran.
    Für ihre arme Zunge jedoch gab es eine derartige Erleichterung nicht. Wenn ihr, ohne dass sie es bemerkte, ein Stück Dung in den offenen Mund fiel – was vorkam, wenn es windig
war, wenn sie den Kopf wandte oder beim Anstieg auf den Hügel, der nach Virgo führte, nach Atem rang –, brannte es so fürchterlich, dass sie Angst hatte, ihr werde ein Loch durch die Zunge gebohrt. Denn der Dung war scharf wie eine saure Zitrone, und sie musste würgen. Alles, was sie zu sich nahm, sei es ihr Essen auf dem Zuckerrohrfeld oder ihr Maisbrei abends nach der Arbeit, schmeckte nicht wie eine Mahlzeit, sondern wie… nun ja, wie die ekelhaften Fladen, die aus dem After eines Maultiers plumpsen.
    Wenn dieser Dung aber erst einmal den Weg in ihre Augen fand – denn die braune Brühe der Ausscheidungen sickerte durch das Weidengeflecht des Korbs hindurch und rann Kitty übers ganze Gesicht –, dann, oh!, dann trieb der brennende Schmerz ihr solche Tränen in die Augen, dass sie

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