Das lange Lied eines Lebens
Gerichtsgebäudes zufächelten und ihr »Teufelin, Teufelin!« zuriefen –, erst der Beginn ihres Martyriums sei. Dann hatte man sie an ihren Ketten aus dem Raum gezerrt, bevor mit irgendwelchen feierlichen Erklärungen verlangt wurde, dass sie sich bemühe, den Kopf zu heben.
So fragte sie, als sie sich vor dem Gerichtsgebäude wiederfand, den Gefängniswärter, der sie antrieb: »Was macht ihr mit mir?«
Der weiße Mann zog sie an den Haaren, um ihren Kopf hochzuziehen, damit sie die drei starren Leichen sehen konnte, die an dem Galgen vor ihr schaukelten. »Du willst deine Freiheit, nicht wahr?«, sagte er. »Das ist die Freiheit, die wir euch geben, noch dem letzten Teufel unter euch.Verstanden, du mörderische Niggerin?«
Bacchaus, der schwarze Henker mit den trüben Augen, lehnte eine Leiter an den Galgen, dann stieg er müde die Holzstreben hinauf, um diejenigen abzuschneiden, deren Schicksal besiegelt war. Die drei Menschenfrüchte, die da baumelten, fielen auf den Haufen verwesender Körper herab, die man unten hatte liegen lassen. So viele waren an diesem Tag schon erhängt worden, dass der Stapel die Falltür behinderte. Aber es sollte Abend werden, bevor die Neger vom Sudhaus herangetrieben wurden, um die Leichen der einst so hoffnungsfrohen schwarzen »Freiheitskämpfer« wegzuschaffen, die jetzt in einem Haufen gebleckter Zähne und gebrochener Gliedmaßen unter den todbringenden Balken vermoderten.
Der Henker überprüfte die Falltür des Gerüsts – öffnete ihre hölzerne Klappe, um jeden beiseitezustoßen, der darunter lag und ihre Funktion behinderte –, bevor er dem Gefängniswärter das Zeichen gab, Kitty herbeizubringen. Nachdem das Halseisen entfernt worden war, drehte sie den Kopf in gesegneter Freiheit, ehe die Seilschlinge, die es ersetzte, ihren Hals wieder unbeweglich machte. Und dann stand sie da und wartete. Denn der Galgen sollte gleich drei Personen aufnehmen und konnte nicht eher in Betrieb genommen werden, als bis die vollzählige Besatzung festgebunden war.
Es war noch nicht lange her, da hatten sich sämtliche Bewohner der Stadt voller Eifer versammelt, um die Bestrafung der Sklaven mitzuerleben, die mit ihren Bränden und ihrem Aufruhr nicht nur die Weißen hier beunruhigt hatten, sondern auch den König von England. Jetzt aber brachte nichts diese Haussklaven, Feldneger und Markthändler dazu, in ihrem
Feilschen innzuhalten, um sich um die Seelen derer zu sorgen, die aus dem Gerichtssaal herausgeführt wurden. Auch Weiße konnte man nicht dazu überreden, in der Hitze dazustehen und zuzusehen, wie Nigger fünfhundert Peitschenhiebe erhielten oder am Galgen aufgeknüpft wurden. Denn diese Bestrafungen waren nun schon so lange vor sich gegangen – tagaus, tagein, Tag um Tag um Tag –, dass alle in der Stadt, Schwarze, Farbige oder Weiße, des Schauspiels müde waren.
»Ihr seid der schlimmsten Verbrechen für schuldig befunden worden, die man begehen kann, und werdet zum Tod durch den Strang verurteilt.« Die beiden Männer, die diese Worte soeben im Gerichtssaal vernommen hatten, wurden zu beiden Seiten Kittys auf das Gerüst gestellt. Einer wurde dafür gehenkt, dass er das Haus seines Aufsehers zu einem Häufchen Asche niedergebrannt hatte. Während der andere sein Leben leider deswegen verlor, weil er untätig und mit offenem Mund in die Flammen gestarrt hatte.
Als die Falltür des Gerüsts sich endlich öffnete, beobachtete July, die sich an einer Ecke des Platzes versteckt hatte, wie Kitty am Ende ihres Strangs krampfhaft um sich trat und mit den Ellenbogen gegen die beiden Männer stieß, die leblos wie Schlachtfleisch neben ihr baumelten. Ihre Mama kämpfte. Ihre Mama würgte. Bis ihre Mama endlich reglos, klein und schwarz dahing wie eine gereifte Schote an einem Baum.
DRITTER TEIL
SECHZEHNTES KAPITEL
Der Sarg wurde auf den Schultern von sechs Männern durch Falmouth getragen. July und Molly schritten in der Prozession neben tiefschwarzen Negern und hellhäutigen Farbigen einher – den Verlumpten und Verlotterten, den Ungeschliffenen und den Geschniegelten, den Eleganten und Glanzvollen, den Verhärmten und Vergrämten der Gemeinde. Die buntscheckige Menge wurde in gedämpftem Ernst von einem weißen Baptistenpfarrer und seiner Familie angeführt. Am Kirchhof hielten alle an, denn der Pfarrer wies mit erhobenem Zeigefinger auf den Mond und ließ einen feierlichen und durchdringenden Ruf erklingen: »Die Stunde ist gekommen. Das Monster stirbt.«
Einige in
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